Full text: [Abt. 8 = Für Prima] (Abt. 8 = Für Prima)

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$ unes er: Charakter. 
moralische Dispositionen die Festigung des Charakters; zu diesen gehört 
vorab der Mangel an Mut und an Wahrhaftigkeit. Konsequentes Beharren 
in der sittlichen Richtung, welche eine Persönlichkeit nach ihrer Anschauung 
dessen, was ihr als das Wesentlichste gilt, ergriffen hat, wird stets Schwierig¬ 
keiten begegnen, Anfechtungen herbeiführen, vor welchen feige Seelen sich 
betrübt zurückziehen, während der natürliche Mut durch Hindernisse sich 
herausgefordert fühlt oder doch aus Abneigung gegen Flucht und Nieder¬ 
lage der Gefahr die Stirn bietet. Auch die Wahrhaftigkeit ist eine Tugend 
des Tapferen, wenn sie nicht ein Geschenk der Einfalt ist; sei ihre Quelle 
die eine oder die andere, sie ist eine mächtige und edle Hilfe für die Bildung 
des Charakters. Der Unwahrhaftige sindet Ausflüchte, wenn es gilt, den 
Grundsätzen Treue zu beweisen, zu denen er sich bisher bekannt hat; die 
Lüge bringt den werdenden Charakter um die Gelegenheit, sich in der Stand¬ 
haftigkeit zu üben. Aber auch Oberflächlichkeit des Herzens und Verstandes, 
Unklarheit des sittlichen Urteils, ja schon Reizbarkeit und Überspannung 
des Gefühls lassen die Klärung und Erstarkung der Persönlichkeit zum 
Charakter kaum zu. 
Gewisse moralische Defekte werden ebensowohl bei bösen wie bei charakter¬ 
losen Leuten angetroffen; Treulosigkeit, Weichheit gegen sich selbst, wovon 
die Kehrseite Härte gegen andere zu sein pflegt, Neid, Eitelkeit sind ebenso 
häufig mit Charakterlosigkeit verbunden, wie sie in positiv böse gearteten 
Charakteren vorkommen; jede egoistische Begierde wird, je nachdem sie einem 
stark oder schwach gearteten Menschen innewohnt, entweder die Festigung 
des Charakters verhindern oder den Willen in ihren Dienst nehmen und 
sich zum Charakterzug ausbilden. Sicher sind charakterlose Bösewichter 
häufiger als konsequente, und manchen historischen Bösewicht hat genauere 
Forschung als Schwächling enthüllt. Aber auch edle Anlagen können die 
Abschließung der Persönlichkeit zum Charakter erschweren; ein mitleidiges 
Herz wird schwerer zu der Sicherheit des moralischen Urteils gelangen 
lassen, welche Konsequenz des Handelns bedingt, als ein durch Gefühle nicht 
bestürmter Verstand; ein vertrauendes Gemüt wird mancher Verleitung zu¬ 
gänglicher sein als ein vorsichtiges; ein für alles Edle erwärmter Sinn, 
eine auf Fülle und Vielseitigkeit angelegte Natur findet schwerer das Maß 
des zu Erstrebenden als eine Individualität von beschränkterem Horizont 
und engerem Jnteressenkreise. 
Wenn es in der Natur der Entwicklung liegt, daß selbst bei den glück¬ 
lichsten moralischen Voraussetzungen die Klärung und Festigung des sitt¬ 
lichen Menschen zum Charakter nur nach und nach erfolgen kann, so ist 
doch nicht jedein das „Geräusch der Welt", der Kampf mit den Bestrebungen 
anderer, der Einblick in fremde Motive und Handlungsweise nötig, um inne-
	        
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