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3. Ehe der Graf flüchtet, vergräbt er seine Schätze, nimmt sodann
sein Töchterlein mit, in den Mantel gewickelt, und irrt viele Jahre lang
als fahrender (bettelnder) Sänger umher.
4. Die Tochter wird schön und groß: der neue Besitzer des Schlosses
begegnet einmal dem wandernden Sänger, verliebt sich in das schöne Mäd¬
chen und führt sie (unter erdichtetem Namen) als seine Braut heim.
Anmerkung. In der Ballade erfolgen die Ereignisse Schlag auf Schlag: die
Prosa-Erzählung muß dem Grafen einige Zeit zur Prüfung gewähren.
5. Ohngeachtet ihm zwei Knaben aus der Ehe erblühen, bleibt doch
die Reue nicht aus.
6. Die vorige Dynastie kehrt zurück, und mit ihr der Graf. Un¬
erkannt, als Sänger, erscheint er bei seinem Ritterschloß und wird von den
Knaben, seinen Enkeln, hineingerufen, während die Mutter in der Kirche
und der Vater auf der Jagd ist.
7. Er erzählt ihnen seine eigene Geschichte, fällt sodann aus der
Rolle, indem er seine Enkel segnet. Da erscheint der stolze hochfahrende
Vater, ist entrüstet, den Bettler bei seinen Kindern zu finden, weil es ihn
an die niedrige Abstammung seiner Gattin erinnert, und befiehlt, ihn ins
Burgverließ zu werfen, durch die Fürbitte der Mutter und der Kinder nur
noch heftiger aufgeregt.
8. Als sein Grimm in Vorwürfen gegen diese ausbricht, gibt sich
der würdige Greis zu erkennen. Jetzt wäre die Reihe an ihm, den Usur¬
pator aus der Burg zu stoßen: doch er verkündet allgemeine Amnestie, und
Alles nimmt ein erfreuliches Ende.
Anmerkung. Goethe hat den Stofs dieser Ballade ans einer Novelle des Boc¬
caccio entlehnt. Den Inhalt dieser Novelle wollen wir hier mittheilen, damit der Schü¬
ler sich, wo es angeht, nach ihr richten kann:
Der Graf von Angers wird verbannt aus demselben Grund, aus welchem
Joseph in Aegypten in's Gefängniß geworfen wird. Er flüchtet mit seinen
zwei unerwachsenen Kindern nach England. Die Kinder gedeihen ,,wie unter
dem glücklichsten Sterne" trotzdem, daß sie für den Vater Almosen sammeln
müssen. Also geschieht es, daß das Mädchen von einer Gräfin in London, der
Knabe von einem Marschall in Wales an Kindes Statt angenommen wird.
Der Vater wandert sodann nach Irland, und thut Knechtsdienste. Indessen
wird die Tochter von dem Sohn ihrer AdoptiwMutter geehlicht, der Sohn aber
heirathet die verwaiste Tochter des Marschalls und wird selbst Marschall. Acht¬
zehn Jahre sind verstrichen: da will sich der Graf einmal wieder nach seinen
Kindern umsehen, und besucht unerkannt erst den Sohn in Wales und dann
die Tochter in London. Hier wird er vom Gemahl der Tochter, als er vor
dem Hauie auf und ab geht, aus Mitleid hineingerufen. In kurzer Zeit
wird er von den Enkelein sehr lieb gewonnen, die ihn trotz dem Unwillen des Hof¬
meisters und den Drohungen der Mutter nicht mehr von sich lassen wollen, so
daß ihr Großvater einmal sagt: „Laßt sie in des Teufels Namen! sie sind
der Mutter nachgeschlagen: die Bettlers-Tochter hat uns ein
Bettlergeschlecht gebracht." Der Alte erträgt diese und andere De¬
müthigungen, indem er als Stallknecht im Hause bleibt: dieselbe Rolle spielt er
nachher bei seinem Sohne, dem Marschall, und geht mit ihm nach Frankreich,
als England gegen Deutschland den Franzosen beisteht, bis der König und die
Königin stirbt, und des Grafen Unschuld durch deren letztes Bekenntniß an den
Tag kommt. Der Graf wird in alle seine Güter und Rechte von dem