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§ 7. Zur mhd. Ar etrik.
(Vgl. Zweiter Abschnitt 3. und 8. S. 32 und 33.)
1. Der mhd. Vers besteht aus einer bestimmten Anzahl von Hebungen, mit welchen
gewöhnlich Senkungen wechseln; doch können diese auch fehlen. Auch kann der ersten
Hebung eine ein- oder zweisilbige Senkung voraufgehn.
2. Die Hebung ruht in mehrsilbigen Wörtern auf der Stammsilbe. Einsilbige
Wörter können die Hebung tragen, wenn sie nicht durch den Satzton hinter die nächste
Hebung zurücktreten. In zusammengesetzten Wörtern ist meist die erste Silbe die höchst
betonte, doch ist auch die Stammsilbe des zweiten Wortes die Hebung zu tragen geeignet,
z. B. lebetüge. Die mit den Vorsilben be, ent, er, ge, ver, zer gebildeten Zusammen¬
setzungen baben wie im Nhd. den Ton auf der zweiten Silbe, oft auch die mit al, ur
im gebildeten. Doch können auch Ableitnngs- und Flexionssilben die Hebung tragen,
namentlich bei vollem, nicht zu e geschwächtem Vokal, z. B. küniginne. Silben mit
tonlosem a sind nur dann der Hebung fähig, wenn unmittelbar eine lange, die Hebung
tragende Silbe vorausgeht, aber nur 1. am Schlüsse eines Verses, 2. innerhalb des
Verses a. wenn das folgende Wort mit einem tonlosen 6 beginnt, z. B. ckin was ze
Sänten genant, b. wenn innerhalb desselben Wortes entweder die Silbe en oder aber
zwei Konsonanten und wieder ein tonloses 6 folgen, z. B. da$ Etzdleu wip, ze triu-
tenne hän.
3. Gleiche Vokale im Aus- und Anlaut verschmelzen mit einander, z. B. ein liebt
bat 8i ir bringen (lies: sir). Folgt auf auslautenden vollen Vokal ein unbetontes e,
so verschwindet dieses, wobei der vorhergehende lange Vokal der einsilbigen Wörter da,
ja, dö, so, du, nü verkürzt wird, z. B. da ensi (lies: dansi). Auslautendes stummes
oder tonloses e verschwindet in der Regel vor folgendem Vokal, z. B. ir enkunde in
dirre werlde (lies: enkundin). Selbst wenn ein Konsonant dazwischen steht, kann eine
solche Verschleifnng eines auslautenden e eintreten, z. B. ez 8int die gedanke des
herzen min (lies: g’dankes).
Buschmann, III. 1.
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