Full text: [Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband]] (Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband])

E 359 
Aber nicht bloß mit chemischen Mitteln wehrt sich der Körper gegen 
seine Feinde, er schickt auch einen Teil seiner Zellen gegen sie aus. 
Betrachtet man ein winziges Tröpfchen Blut unter dem Mikroskop, so 
sieht man in einer nahezu farblosen Flüssigkeit zahllose runde gelbe 
Scheibchen schwimmen, die roten Blutkörperchen, deren Masse das Blut 
seine Farbe verdankt. In einem Kubikmillimeter sind 4,5 bis 5 Millionen 
solcher Scheibchen enthalten. Daneben gewahrt man hier und da einzelne 
ganz ungefärbte, weniger runde und etwas gekörnte Zellen, die sog. 
weißen Blutkörperchen oder Leukocyten. Hiervon gibt es in einem Kubik— 
millimeter nur etwa 8—9000. Diese weißen Blutkörperchen entwickeln 
nun im Organismus eine sehr merkwürdige Tätigkeit. Sie vermögen 
nämlich unter gewissen Bedingungen Bakterien in sich aufzunehmen und 
sozusagen zu verdauen, jedenfalls unschädlich zu machen. So stellen sie 
eine Ärt Sanitätspolizei im Körper dar. Sind irgendwo Krankheits— 
erreger eingedrungen, so versammeln sich die weißen Blutkörperchen hier 
in großer Anzahl und beginnen ihren Feldzug gegen die Eindringlinge. 
Voraussetzung dabei ist aber, daß im Blut bestimmte Stoffe vorhanden 
sind, die ihnen die Bakterien gewissermaßen präparieren, sie sozusagen 
für die weißen Blutkörperchen verdaulich machen. Diese Substanzen 
spielen also den weißen Blutkörperchen gegenüber dieselbe Rolle, wie der 
Ambozeptor gegenüber dem Komplement. Man nennt diese die Freßlust 
der weißen Blutkörperchen steigernden Stoffe neuerdings Opsonine und 
hat sie bereits zur Heilung von Krankheiten heranzuziehen versucht. Das 
geht nun natürlich nicht so einfach, wie man aus der Apotheke eine 
Arznei holt; ist doch die einzige chemische Fabrik, die sie anfertigen kann, 
der lebende Körper selbst. Aber man kann den Körper zur Vermehrung 
seiner Opsonine anregen, indem man ihm kleine Mengen abgetöteter 
Bakterien derselben Art zuführt, durch die er bereits krank ist, also bei 
Tuberkulose Tuberkelbazillen usv. Damit steigert man dann die Kampf— 
fähigkeit der weißen Blutzellen. Natürlich muß das sehr vorsichtig ge— 
schehen und sorgfältig im Laboratorium kontrolliert werden. 
Alle diese wunderbaren Stoffe werden irgendwo im Körper ange— 
fertigt. Wo, wissen wir nicht. Aber sie kreisen im Blut und gelangen 
auf diesem Weg an die Orte, wo sie nötig sind. Dargestellt und gesehen 
hat sie noch niemand, ihre chemische Zusammensetzung ist uns vollkommen 
unbekannt, wird es vielleicht auch für immer bleiben, wir kennen sie 
eben nur aus ihren biologischen Wirkungen. Mehr denn je erscheint 
uns das Wort wahr: „Blut ist ein ganz besonderer Saft.“ 
Stehen wir aber auch erst am Anfang unserer Kenntnis dieser 
wunderbaren Heilbestrebungen der Natur, und ist unser Wissen noch 
sehr Stückwerk, so ist doch eins sicher: die Wissenschaft wird nicht ruhen, 
bis sie der Natur ihr Geheimnis abgelauscht und es in den Dienst der 
kranken Menschheit gestellt hat.
	        
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