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verloren; der bunte Flügelstaub klebte an den PFingern des
Knaben, und die zarten Schwingen waren ganz zerzauset. —
Da seufzte der Knabe bitterlich und sprach: „O, wie ist
das Ding so jämmerlich entstellt worden! Sieht es doch dem
Võöglein nicht mehr ahnlich, das auf der Lilie sass! Pfuil wenn
sie auch so zerbrechlich sind!“‘ — So sprach der Knabe und
warf den Schmetterling zürnend zur Erdoe.
Der Vater aber antwortete und sprach: ‚„Wem zürnest du?
Ist es denn des Vögleins Schuld, dass es so zart gebildet wurde?
Du hbast es mit rauben Händen angefasst, darum verwelkte
sein FPlügelglanz und sein Blumenleben.“
Priedrieh Adolf Krummacher.
86. 0ehs und PEsel.
Ochs und Esel zankten sich
Beim Spaziergang um die Wette,
Wer am meisten Weisheit hätte;
RKeiner siegte, Leiner wich.
Endlich kam man überein,
Dass der Löwe, wenn er vollte,
Diesen Streit entscheiden sollte,
Und was konnte klüger sein?
2.
Beide reden tiefgebuckt
Vor des Tierbeberrschers Throne,
Der mit einem edlen Hohne
Auf das Paar hinunterblickt.
Endlich sprach die Majestät
Zu dem Esel und dem Parren:
„Ihr seid alle beide Narren!“
Jeder gafft ihn an und geht.
Gottlieb Konrad Pfeoffoel.
87. Die Brennessel.
Die Eiche ist ein gewaltiger, starker Mann, das Veilchen ein be—
scheidenes Kind, der Apfelbaum ein freundlicher Gastwirt, die Tulpe
ein putzsüchtiges Mädchen und die Brennessel — ein verrufener Böse—
wicht. Ähnlich wie ein Räuber verkriecht sie sich in die Winkel des
Gartens und in die Gebüsche, an Hecken und Schutthaufen, und