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45. Das Glöckleiii des Glücks. 
Von J. Gr. Seidl. 
Bifolien. Wien 1849. 
1. Der König lag am Tode, da rief er seinen Sohn; 
Er nahm ihn bei den Händen und wies ihn auf den Thron. 
„Mein Sohn“, so sprach er zitternd, „mein Sohn, den lass’ ich dir; 
Doch nimm mit meiner Krone noch dies mein Wort von mir: 
2. Du denkst Dir wohl die Erde noch als ein Haus der Lust; 
Mein Sohn, das ist nicht also; sei dessen früh bewusst! 
Nach Eimern zählt das Unglück, nach Tropfen zählt das Glück; 
Ich geh’ in tausend Eimern zwei Tropfen kaum zurück.“ 
3. Der König spricht’s und scheidet. Der Sohn begriff ihn nicht; 
Er sieht noch rosenfarben die Welt im Maienlicht. 
Zu Throne sitzt er lächelnd; beweisen will er’s klar, 
Wie sehr getäuscht sein Vater von düstrem Geiste war. 
4. Und auf das Dach des Hauses grad’ über seinem Saal, 
Worin er schläft und sinnet und sitzt am frohen Mahl, 
Lässt er ein Glöcklein hängen von hellem Silberklang, 
Das läutet, wie er unten nur leise rührt den Strang. 
5. Den aber will er rühren — so thut er’s kund im Land —, 
So oft er sich recht glücklich in seinem Sinn empfand: 
Und traun — zu wissen glaubt er’s — da wird kein Tag entfliehn. 
An dem er nicht mit Rechten das Glöcklein dürfte ziehn. 
6. Und Tag’ um Tage heben ihr rosig Haupt empor; 
Doch abends, wenn sie’s senken, trägt’s einen Trauerflor. 
Oft langt er nach dem Seile, das Auge klar und licht; 
Da zuckt ihm was durchs Inn’re, das Seil berührt er nicht. 
7. Einst ritt er voll des Glückes erhörter Freundschaft hin; 
„Ausläuten,“ ruft er, „will ich’s, wie hoch beglückt ich bin!“ 
Da keucht ein Bot’ ins Zimmer, der’s minder spricht als weint: 
„Herr, den Du Freund geheissen, verriet Dich wie ein — Feind!“ 
8. Einst fliegt er voll des Glückes erhörter Lieb’ hinein; 
„Mein Glück, mein Glück,“ so ruft er, „muss ausgeläutet sein!“ 
Da kömmt ein blasser Kanzler und murmelt bang’ und scheu: 
„Herr, blüht denn auch dem König hienieden keine Treu’?“ 
9. Der König mag’s verwinden, er hat ja noch sein Land 
Und einen vollen Seckel und eine mächt’ge Hand; 
Er hat noch grüne Felder, noch Wiesen voll von Duft 
Und drauf den Fleiss der Menschen und drüber Gottes Luft. 
10. Zu seinem Fenster tritt er, sieht nieder, sieht hinaus, 
Und Wiege seines Glückes bediinkt ihn jedes Haus. 
Zum Seil hin eilt er glühend, will ziehn, will läuten — sieh’! 
Da stürmt’s herein zum Saale, da fällt’s vor ihm aufs Knie.
	        
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