Vorwort.
VII
als aus schematischen Dispositionsü ungen und den herkömmlichen Schul-
aufsützen.
Wenn es jedoch in dem oben erwähnten Aufsatze von Münch heißt:
„So wenig es dem didaktischen Ideal entspricht, Bruchstücke lesen zu
lassen, so wird doch praktisch nichts anderes übrig bleiben, als solche
Fragmente zu wählen, die für sich selbst schon ein abgeschlossenes Ganze
bilden, Fragmente, wie sie unsere guten Lesebücher für die Oberstufe eben
bieten . . so dürfen wir vielleicht hoffen, indem wir den Essay und die
verwandten Gattungen in den Dienst der Jugend-Lektüre stellen, dem
didaktischen Ideal etwas näher zu kommen. Dies ist, meines Wissens,
in so systematischer Weise bisher noch nicht geschehen. Einzelne Reden,
von Curtius z. B., sind wohl da und dort aufgenommen worden; auch
die Anlage der Bi es eschen Lesebücher könnte aus den ersten Blick etwas
Verwandtes zeigen, wie andererseits der Name der großen Auspitzschen
Sammlung: „Meister-Prosa" (Wien. Prohaska) auf die gleiche Tendenz
hinzudeuten scheint. Dennoch weicht das hier vorliegende Buch in wesent¬
lichen Punkten von den genannten Werken ab?)
Auch noch in einer anderen Beziehung erscheint mir die päda¬
gogische Verwertung dieser besonderen Gattung unserer modernen Prosa
wichtig.
Die heranwachsende Jugend soll durch diese Art der Lektüre nicht nur
auf eine ganze reiche Litteratur hingewiesen werden, die so recht eigentlich
die Litteratur für den gebildeten Laien ist, sie soll auch angeleitet werden
zu lernen, wie man lesen muß. Es ist ein großer Sprung von den
kurzen, wenige Seiten umfassenden Bruchstücken der meisten Schul-Lese-
*) Auch die Lesebücher von Cauer, Muff, Jonas zeigen wohl manche
Ähnlichkeit in der Anlage; sie sind jedoch speziell für männliche Bildungs¬
anstalten bestimmt; sie sind nn ganzen abstrakter gehalten, während in der vor¬
liegenden Sammlung mehr von dem Konkreten, Einzelnen, Besonderen aus¬
gegangen wird, was mir der weiblichen Eigenart besser zu entsprechen scheint. Das
Interesse für die Sache muß der weiblichen Natur meist erst durch das Interesse
für die Person vermittelt werden. Darum ist hier eine Anzahl von Aufsätzen
gewählt, welche die Persönlichkeit, den Dichter, den Forscher mehr in den Vorder¬
grund treten lassen, als sein Werk, die Dichtung, die Forschung, welche namentlich
„den Geschilderten in dem mit treuem Fleiße begonnenen und mit rastloser Ge¬
duld fortgeführten Kampf um das Ideal darstellen" („Deutsche Lehr- und Wander¬
jahre", Bd. I, Vorwort); darum ist z. B. der so anspruchslos geschriebene Essay
von Marie von Ebner-Eschenbach über Luise von Francois aufgenommen, weil
die beiden Meisterinnen der Feder uns hier in ihren herrlichen menschlichen Eigen¬
schaften so nahe treten — die mannigfachsten Anknüpfungen allgemeiner Art er¬
geben sich bei der Lektüre ganz von selbst.