Festrede zur Enthüllung des Berliner Lessing-Denkmals. 127
Fragmentisten, mit dessen nachgelassenen Scheitern Lessing den theologischen
Brand schürte, und des ehrwürdigen Sprachmeisters der alten Bühne zeigt.
Da ist Ewald von Kleist, „Dichter und Soldat", der wehmütige
Elegiker des „Frühling" und der tapfere Blutzeuge von Kunersdorf,
der ideale Empfänger der Berliner Litteraturbriefe und ein Urbild des
Majors von Tellheim, Lessings geliebtester Herzensfreund.
Da ist Friedrich Nieolai als ein Vertreter des fridericianischen
Berlinertums, ein Achtung gebietender, behender Autodidakt, der in
jüngeren Jahren wacker Schritt zu halten strebte, später jedoch seine
Buchhandlung und Rezensieranstalt in den Dienst einer Aufklärung
gab, die, während Lessing den Horizont weitete, selbstgenügsam und
aberweise mit allem im Reinen zu sein wähnte und zur Zeit der
Genies, der Klassiker, der Romantik wie ein alter Uhu von den
Vögeln des jungen Tages umschwärmt wurde.
Da ist Moses, Mendels Sohn von Dessau, der jüdische Buch¬
halter, Popularphilosoph und Ästhetiker, ein sauberer Prosaist, ein
reiner Mann, der sein Volk aus der Gefangenschaft führte und dem
bewunderten Jugendgenossen mit dankbarer Liebe anhing. In trau¬
lichen Stunden der Symphilosophie hat hier sein Scharfsinn Lessings
Gedankenarbeit befördert, den „Laokoon" bereichert. Der Treue ward
noch ein froher Zeuge des, ach so kurzen, häuslichen Glücks in Wolfen¬
büttel, und an dem Bilde des philosophierenden jüdischen Kaufmanns
hing Lessings geistiges Auge gern, als sein dichterisches Schaffen gipfelte
in „Nathan dem Weisen", dessen Entwurf die Nachkommen Mendels¬
sohns wie einen urväterlichen Ehrenbrief hüten.
Das goldene Nathanwort von dem allliebenden Vater:
Es eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
erglänzt auf unserem Denkmal. Hier im engen Hause der Behrenstraße
ist 1783 dieser „Nathan" zum ersten Mal über die deutschen Bretter
gegangen, die er feiertäglich weiht, so oft er kommt. Und hinter ihm
steigen jene heißen Kämpfe auf, die Lessing mit einer polemischen
Kraft ohnegleichen durchfocht, um für alle Zeiten zu erhärten: der
Buchstab ist nicht der Geist, die Bibel nicht die Religion, das christ¬
liche Dogma nicht die Botschaft Christi. . . Lessing war kein Bekenner,
doch tiefer als die Masse der Aufklärer begriff er die Triebkräfte und
den Entwicklungsgang der Religion, so hold der klosterbrüderlichen
Herzensfrömmigkeit, wie dem beweisenden Starrsinn einer abgelebten
Orthodoxie und dem Schaukeln der Halben feind. Die das Evangelium
Johannis trennt, das Testament Johannis soll sie vereinigen: Kind¬
lein, liebet einander! So erhöht Lessing, von der Bühnenkanzel dies
A und O predigend, das Theater zum Gefäß des edelsten Gedanken-