Morwort.
Das Wahre ist: in einem Meister sein
Und Jünger aller echten Geister sein.
W. Jensen.
Goethe scherzte darauf über die Schwierigkeit des Lesens und den Dünkel
vieler Leute, die ohne alle Vorstudien und vorbereitende Kenntnisse sogleich
jedes philosophische und wissenschaftliche Werk lesen möchten, als wenn es eben
nichts weiter als ein Roman wäre.
„Die guten Leutchen", fuhr er fort, „wissen nicht, was es einem für Zeit
und Mühe gekostet, um lesen zu lernen. Ich habe achtzig Jahre dazu ge¬
braucht und kann noch jetzt nicht sagen, daß ich am Ziele wäre."
Goethes Gespräche mit Eckermann.
Der Essay will keine Frage zum Abschluß bringen, er will die Geister
ausschließen; er will den schweren Wissensstoff in flüssiges
Leben verwandeln; er willnicht sowohl unterrichten als bilden,
nicht Ergebnisse überliefern, sondern zum Nachdenken anregen.
H. Homberger, Nachruf für Karl Hillebrand.
Die vorliegende Sammlung ist aus der Praxis des Unterrichts
hervorgegangen. Zweck und Richtung derselben sind durch die oben an¬
geführten Aussprüche im ganzen gekennzeichnet. Es sei mir jedoch gestattet,
noch etwas genauer darzulegen, welche Gründe mich zu dieser nicht mühe¬
losen Arbeit bestimmt haben.
Zuvörderst sei es mit allem Nachdruck ausgesprochen, daß die poetische
Lektüre im Jugend-Unterricht nach meiner Meinung durch die Prosa-
Lektüre nicht etwa verdrängt oder ersetzt, sondern vielmehr nur ergänzt
werden soll. „Poesie und Pädagogik" gehören gewiß zusammen. Bisher
aber ist auf der Oberstufe unserer höheren Lehranstalten die poetische Lektüre
vorwiegend gepflegt worden, und gerade diejenigen Prosaschristen, die zu¬
meist gelesen werden, Teile aus „Wahrheit und Dichtung" (auf den Gym¬
nasien auch Abschnitte aus Lessings „Laokoon" und aus der „Hamburgischen
Dramaturgie", sowie einige ästhetische Abhandlungen Schillers), erscheinen