Full text: Deutsche Dichtung in der Neuzeit (Abt. 2)

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3. Die Mutter. 
1. Mutterliebe, Muttertreue 
Giebt dem kleinen Erdenglück 
Seinen Anfang, seine Weihe, 
Lehrt den ungewissen Blick 
Erst umher-, und dann zum blauen 
Hochgewölbten Himmel schauen. 
2. Diese Treue, diese Liebe 
Sichert uns an ihrer Brust; 
Sei der Morgen noch so trübe, 
Wir erwachen da zur Lust, 
Hören unter Donrwrschlägen 
Nur der Mutterstimme Segen. 
3. Und das stille traute Zimmer 
Wird von Engelglanz erhellt, 
Wenn des Mondes reiner Schimmer 
Auf der Mutter Antlitz fällt; 
Banger Nächte Finsternisse 
Mindern schweigend ihre Küsse. 
4. Fremd auf diesem Erdenrunde, 
Nur daheim in ihrem Schoß, 
Hängt das Kind an ihreni Munde, 
Wird der Knabe spielend groß; 
Klagen darf er, bitten, hoffen; 
Mntterhand ist immer offen. 
5. Sie, die jedes leise Sehnen 
Stillte, sie, die alles gab, 
Beut dem Jüngling nun mit Thränen 
Den gewünschten Wanderstab, 
Öffnet zitternd ihm die Pforte 
Bei dem letzten Abschiedsworte. 
6. Und das letzte Wort verhallet 
Lang' in seinem Busen nicht, 
Und die Sorgenvolle wallet 
Einsam oft im Dämmerlicht, 
Starrt hinaus in dunkle Ferne, 
Fragt nach ihm die goldnen Sterne. 
7. Mag er jugendlich indessen 
Neuer Lust entgegengehn 
Und sein Kinderglück vergessen; 
Nur des Lieblings Wiedersehn 
Zeigt die tröstende, die milde 
Hoffnung ihr im Rosenbilde. 
4. Litanei auf das 
1. Rnh'n in Frieden alle Seelen! 
Die vollbracht ein banges Quälen, 
Die vollendet süßen Traum, 
8. Eitles Bild! es wird verschwinden 
Wie der Rose Wiederschein, 
Wenn am Teich, umbraust von Winden, 
Ihre Blätter sich zerstreun. 
Todesschatten sinken nieder; 
Eile Jüngling, kehre wieder! 
9. Daß dich sterbend ihre blasse 
Lippe segne, daß der Arm 
Deiner Mutter dich umfasse, 
Ihre Brust, so liebewarm, 
An dem großen Scheidungstage 
Noch an deinem Herzen schlage! 
10. Ach, zu spät! die starren, kalten 
Hände, die so treu, so fromm 
Deiner pflegten, sind gefalten, 
Sind's auf immer. Jüngling komm, 
Daß, von dir besucht, die Erde 
Der Entschlafnen leichter werde. 
11. Blicke stumm nach ihrem leeren 
Sitze, deiner Seufzer wert! 
Halte lebenslang in Ehren 
Den durch sie geweihten Herd, 
Wo die heil'ge Flamme lodert, 
Die noch Dank und Thränen fodert. 
12. Und will je dein Glaube wanken, 
Wann, im Auge Hüls' und Rat, 
Groll und Meineid in Gedanken, 
Sich der Mensch dem Menschen naht: 
So ermanne dich, so freue 
Dich der mütterlichen Treue. 
13. Singt sie doch an jeder Wiege, 
Lacht dein Säugling, den sie trägt. 
Und es bleiben ihre Züge 
Bessern Seelen eingeprägt, 
Die nicht von der Liebe weichen 
Und die Bruderhand uns reichen. 
14. Freue dich! Der alles lenket, 
Der die zarte Pflanz' im Hain 
Wie die Ceder wärmt und tränket, 
Muß durch Liebe selig sein. 
Hätt' er sonst dies Wonncleben 
In das Mntterherz gegeben? 
Fest aller Seelen. 
Lebenssatt, geboren kaum 
Aus der Welt hinüberschieden, 
Alle Seelen rnh'n in Frieden!
	        
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