Der kriegerische Genius.
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Wir sagen also: die Charakterstärke wird zum Eigensinn, sobald das
Widerstreben gegen fremde Einsicht nicht aus besserer Überzeugung, nicht aus
Vertrauen auf einen höheren Grundsatz, sondern ans einem widerstrebenden
Gefühl entsteht. Wenn diese Definition uns auch, wie wir schon eingeräumt
haben, praktisch wenig hilft, so wird sie doch verhindern, den Eigensinn für
eine bloße Steigerung der Charakterstärke zu halten, während er etwas we¬
sentlich davon Verschiedenes ist, was derselben zwar zur Seite liegt und an
fie grenzt, aber so wenig ihre Steigerung ist, daß es sogar sehr eigensinnige
Menschen giebt, die wegen Mangel an Verstand wenig Charakterstärke haben.
Nachdeni wir in diesen Virtuositäten eines ausgezeichneten Führers int
Kriege diejenigen Eigenschaften kennen gelernt haben, in welchen Gemüt und
Verstand zusammenwirken, kommen wir jetzt zu einer Eigentümlichkeit der
kriegerischen Thätigkeit, welche vielleicht als die stärkste betrachtet werden
kann, wenn es auch nicht die wichigste ist, und die ohne Beziehung auf die
Gemütskräfte bloß das Geistesvermögen in Anspruch nimmt. Es ist die Be¬
ziehung, in welcher der Krieg zu Gegend und Boden steht.
Diese Beziehung ist erstens ganz unausgesetzt vorhanden, so daß man
sich einen kriegerischen Akt unsrer gebildeten Heere gar nicht anders, als in
einem bestimmten Raume vorgehend, denken kann; sie ist zweitens von der
entscheidendsten Wichtigkeit, weil sie die Wirkungen aller Kräfte modifiziert,
zuweilen total verändert; drittens führt sie auf der einen Seite oft zu den
kleinsten Zügen der Örtlichkeit, während sie auf der andern die weitesten
Räume umfaßt.
Auf diese Weise giebt die Beziehung, welche der Krieg zu Gegend und
Boden hat, seiner Thätigkeit eine hohe Eigentümlichkeit. Wenn wir an die
andern menschlichen Thätigkeiten denken, die eine Beziehung zu jenem Gegen¬
stände haben, an Garten- und Landbau, an Häuser- und Wasserbauten, an
Bergbau, an Jägerei und Forstbetrieb, so sind alle auf sehr mäßige Räume
beschränkt, welche sie bald mit genügender Genauigkeit erforschen können.
Der Führer im Kriege aber muß das Werk seiner Thätigkeit einem mit¬
wirkenden Raume übergeben, den seine Augen nicht überblicken, den der regste
Eifer nicht immer erforschen kann, und mit dem er bei dem beständigen
Wechsel auch selten in eigentliche Bekanntschaft kommt. Zwar ist der Gegner
im allgemeinen in demselben Fall, aber erstlich ist die gemeinschaftliche
Schwierigkeit doch immer eine solche, und es wird der, welcher ihrer durch
Talent und Übung Herr wird, einen großen Vorteil auf seiner Seite haben,
zweitens findet diese Gleichheit der Schwierigkeit nur im allgemeinen statt,
keineswegs in dem einzelnen Fall, wo gewöhnlich einer der beiden Kämpfenden
(der Verteidiger) viel mehr von der Örtlichkeit weiß, als der andere.