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Lehre vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswissenschaften gesichert.
Ein großer, wissenschaftlicher Kops, ein Meister des historischen Urteils war er
vielleicht zu kritisch und nachdenklich, um so beherzt wie Gneisenan das Glück
der Schlachten bei der Locke zu fassen, aber keineswegs bloß ein Mann der
Bücher, sondern ein praktischer, tapferer Soldat, der mit offenen Angen in das
Getümmel des Lebens schaute. Soeben kehrte er mit dem Prinzen August
aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Dort in Frankreich hatte sich seine Liebe
für die jugendliche Wahrhaftigkeit und Frische der Germanen bis zum En¬
thusiasmus gesteigert; er brachte die Überzeugung mit heim: diese Franzosen
seien im Grunde noch immer ein ebenso unmilitärisches Volk wie einst in den
Tagen der Hugenottenkriege, da sie vor den deutschen Lansquenets und Reitres
zitterten; wie könne der uralte Charakter der Nationen sich in den zehn Jahren
verändern? Wie sollten die hundertmal Besiegten auf die Dauer das waffen¬
mächtige Deutschland beherrschen?
Mit solchen Kräften schritt der König an das Werk der Wiederherstellung.
Die ganze Armee wurde neu formiert. Sechs Brigaden, zwei schlesische, zwei
altpreußische, je eine aus Pommern und den Marken, das war alles, was von
dem friderizianischen Heere noch übrig blieb, das war der letzte Anker für
Deutschlands Hoffnungen. Der Zopf siel hinweg, die Truppen erhielten zweck¬
mäßigere Waffen und Kleider, die Künste des Paradeplatzes traten zurück
hinter der angestrengten Arbeit des Felddienstes. Alle Vorräte mußten von
neuem angeschafft werden; Napoleons Marschälle hatten die Ausplünderung
mit solcher Gründlichkeit besorgt, daß die schlesische Artillerie einmal monate¬
lang, aus Mangel an Pulver, ihre Schießübungen einstellen mußte. Eine.llnter-
suchungskommission prüfte das Verhalten jedes einzelnen Offiziers im Kriege,
entfernte unerbittlich die Schuldigen und Verdächtigen. Gneisenau forderte in
der Zeitschrift „Der Volksfreund", die der wackre Bärsch herausgab, die Freiheit
des Rückens für die Armee, fragte bitter, ob der preußische Soldat den Antrieb
zum Wohlverhalten auch fernerhin im Holze suchen solle, statt im Ehrgefühle.
Seine Meinung drang durch; die neuen Kriegsartikel beseitigten die alten
grausamen Körperstrafen. Wie hatte sich doch die Welt verwandelt, daß jetzt
preußische Offiziere in der Presse die Mängel des Heerwesens besprechen
durften!
In einem anderen Zeitungsaussatze schilderte Gneisenau sarkastisch, wie
bequem es doch für die adeligen Eltern sei, daß ihre Söhne schon im Kindes¬
alter als Junker die Soldaten des Königs befehligen dürsten. Er sprach damit
nnr aus, was alle verständigen Offiziere dachten. Die Beseitigung der Junker-
stellen sowie aller anderen Vorrechte des Adels im Heere ergab sich von selbst
aus dem Geiste der neuen Gesetzgebung, und da man die Tüchtigkeit der
jugendlichen Heerführer Napoleons kennen gelernt, so verlangte mancher Hei߬
sporn die Nachahmung des vielgerühmten freien Avancements der Franzosen.
Scharnhorst aber ging seines eigenen Weges; er durchschaute, welche sittlichen
Schäden der napoleonische Grundsatz „junge Generale, alte Hauptleute" hervor-