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Prosaheft VII.
trunkener Dithyrambus die Liebe heran aus kalten Welten. Er ist ein
wahrer Dichter der Münnerfrenndschaft geworden, er schuf das ideale
Freundschaftspaar in Don Carlos und Marquis Posa, das gemeinsam
für die höchsten Ziele erglühte und in diesem Feuer die Seele von
niedrigen Gedanken läuterte und auch die Feuerprobe im Tode bestand.
Auch im Leben bewies er jugendliche Schwärmerei, wie hohen sittlichen
Ernst in seiner Freundschaft mit Körner, Humboldt, Goethe: ihnen allen
waren seine Briefe wie ein Heiligtum, das sie lange still für sich be¬
wahrten, um sich von den Worten des Hingeschiedenen in das Reich
edler Geistesgemeinschaft tragen zu lassen. Die Empfindsamkeit der
Klopstockschen Zeit fand oft in gemeinsamen Freudenzähren der Freund¬
schaft schönsten Lohn, Schiller wollte die Genossen der Jugend aus
tatenscheuer Empfindelei vorwärtsführen, auch als Dichter war er der
Sänger tatkühnen Handelns.
Die weltgeschichtlichen Zeiten, wo der Kult der Freundschaft seine
herrlichsten Gestalten vereinigt, sind wohl die Zeiten, wo die staatliche
Lebensgemeinschaft zu elend ist, um rechte Männer zu tragen, wo vor
der Despotie, sei es der Massen, sei es der Monarchen, edlere Naturen
in den stilleren Frieden der engeren Geistesgemeinschaft flüchten. Schiller
begnügte sich nicht mit dieser Freundschaft, er forderte einen Staat, in
dem Raum war für die Freiheit des Gedankens und der Arbeit, einen
Staat, der alle mit seinem freien Geiste beseelte und alle zu wetteifernd
großer Tat vereinte. Aber in seiner Zeit herrschte der Absolutismus,
unbeschränktes Fürstenrecht. Wir denken heute anders über die ge¬
schichtliche Arbeit, welche diese Staatsform, namentlich in den großen
Verhältnissen nationaler Reiche, geleistet hat — dem Dichter erschien
sie nur wie eine große Maschine, ein Uhrwerk, in dem der Einzelne
nichts sein sollte als ein stummes Rad, das nach fremdem Willen sich
drehte. Das eintönige Gerassel der Räder dieses Automaten hörte er
mit Grauen, während er die freie Triebkraft großer Seelen im eigenen
Busen empfand. Und nicht anders erschien ihm die Kirche, die andere
geistige Großmacht des europäischen Lebens. Auch sie schien nur
herrschen, nur Macht üben zu wollen; nur die gestempelte Wahrheit,
nur ein wohl zugerichtetes Glück zu dulden, in das die Lust des eigenen,
selbsttätigen Denkens nicht aufgenommen war; sie gab wohl Frieden,
aber es war nur ein Frieden, wie der des Kirchhofs, wo das Leben
ein Ende hat. Dieser Staat prahlte mit Allwissenheit, wenn er Brief¬
geheimnisse aufgestöbert hatte, und die Kirche spielte die Vorsehung,
wenn sie Beichtgeheimnisse übel verwaltete. So sah Schiller in seiner
Jugend den Staat an, er aber wollte mit den Flügeln seines Geistes
über die große Grenze hinüber, welche Herrschende und Gehorchende
trennte, und mit seiner Menschenliebe wollte er die Kluft ausfüllen,
welche Arbeit und Genuß so verschieden verteilen, er wollte im Staate