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bemächtigen wollte, zurückgescheucht habe; und ich begreife voll¬
kommen, daß er, sobald er will, grimmig genug aussehen kann, um
einem Löwen Angst einzujagen. Ohne Zweifel ist gerade dies die
Ursache, warum der Ausdruck von Wohlmeinung und Güte eine so
große Wirkung in seinem Gesicht tut, weil die natürliche Schönheit
der Züge so wenig dazu beiträgt, und man also um so gewisser sein
kann, daß es der Ausdruck wahrer Gesinuungen ist und unmittelbar
aus dem Herzen kommt. Das nämliche gilt (in seiner Art) von dem
ziemlich nahe an Hohn grenzenden Spotte, der in den aufgestülpten
Nüstern seiner Delphinen-Nase lauert, aber durch die gewöhnliche
heitere Freundlichkeit seiner Augen und das gutherzige Lächeln seines
dicklippigen Mundes so sonderbar gemildert wird, daß er aufhört,
Spott zu sein, oder daß nur gerade so viel davon üblig bleibt, um
seiner Art zu scherzen, und der ihm eigenen Ironie2) etwas Säner-
lichsüßes zu geben, das unendlich angenehm ist, aber sich weder be¬
schreiben noch nachmachen läßt. Kurz, ich bin gewiß, diese sonderbare
Mischung von Weisheit und Einfalt, von Ernst und Mutwillen, von
Gleichmütigkeit und genialischer^) Laune, Stolz und Bescheidenheit,
Treuherzigkeit und KaustizitätF) die das Eigentümliche seines Cha¬
rakters ausmacht, und wodurch er, mit einem Wort, Sokrates ist,
könnte gar nicht stattfinden, wenn ihm die Natur eine regelmäßige
Gesichtsbildung gegeben hätte, und gerade diese, die er hat, sei die¬
jenige, welche der in ihm wohnende Genius sich besser als eine andere
anpassen konnte.
38. Oberon.
Ein romantisches Heldengedicht in zwölf Gesängen.
Erster Gesang.
(Stanze 12—27.)
12. Drauf geht es mit verhängtem Zügel
Auf Bagdad los. Stets denkt er, kommt es bald?
Allein da lag noch mancher steile Hügel
Und manche Wüstenei und mancher dicke Wald
Dazwischen. Schlimm genug, daß in den Heidenlanden
Die schöne Sprache von OkH was Unerhörtes war:
Ist dies der nächste Weg nach Bagdad? fragt er zwar
An jedem Tore, doch von keiner Seele verstanden.
13. Einst traf der Weg, der eben vor ihm lag,
Auf einen Wald. Er ritt bei Sturm und Regen
2) feiner Spott, der unter dem Scheine treuherziger Einfalt die Torheiten anderer
lächerlich macht. 3) geistvoller, geisteskräftiger, schöpferischer. 4) das Brennende,
Beizende, hier das treffende Urteil.
1) im südlichen Frankreich herrschend.
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