Full text: Deutsches Lesebuch für Obersekunda (Teil 7)

213 
Heu und anderen Tier- und Pflanzenstoffen gefunden und erhielten deshalb 
den Namen der Nufguß- oder Infusionstierchen. Gerade ein Jahrhundert 
nach Leeuwenhoek fand sich ein Forscher in Dänemark, der zwölf Jahre 
seines Lebens auf die Beobachtung dieser kleinsten Tiere verwendete, von 
denen er in den süßen und Meergewässern von Kopenhagen an 380 ver¬ 
schiedene Urten benannte und abbildete. Im letzten Jahrhundert mehrte 
sich in raschem Verhältnis die Zahl der Naturforscher, welche mit immer 
vollkommneren Instrumenten in die unsichtbare Welt einzudringen suchten - 
außer den zahlreichen Tiergeschlechtern wurde auch eine ganz eigentümliche 
mikroskopische Flora entdeckt, deren Gestaltung und Entwicklung durchaus 
verschieden ist von den sichtbaren Gewächsen, war Leeuwenhoek der Ko¬ 
lumbus dieser neuen Welt, so können wir Ehrenberg als den Humboldt der¬ 
selben bezeichnen- denn seit dem Jahre 1829 hat ein halbes Jahrhundert 
lang Ehrenberg mit eisernem Fleiße deren verborgene Gebiete bis an die 
äußersten Grenzen durchforscht und nicht bloß die mikroskopischen Wesen 
gründlicher und getreuer als seine Vorgänger beschrieben, abgebildet und 
geordnet sondern auch die ungeahnte Bedeutung enthüllt, welche den Ge¬ 
schöpfen der unsichtbaren Welt in der gesamten Naturordnung zukommt, 
nicht bloß in der Gegenwart sondern auch in früheren geologischen Zeitaltern. 
Jedermann weiß, in wie verschiedenen Größenverhältnissen das Leben 
der sichtbaren Welt sich verkörpert. Zu den kleinsten Tieren, die das un¬ 
bewaffnete Buge noch unterscheidet, gehören die Nlilben, die im Käse oder 
auf zuckerreichen Früchten oft in unzähligen Scharen nisten- ihre Größe 
verhält sich zu der des Menschen etwa wie der Sperling zum Straßburger 
Münster, von den Tierchen, die Leeuwenhoek entdeckte, gibt derselbe an, 
daß ihre Größe sich zur Milbe verhalte wie die Biene zum Gaul. Je mehr 
in den letzten Jahrzehnten die Mikroskope verbessert und ihre vergrößerungs- 
kraft gesteigert wurde, desto kleinere Wesen wurden der scharfen Beobachtung 
zugängliche denn unter den Tieren und Pflanzen der unsichtbaren Welt 
finden sich noch ähnliche Größenunterschiede wie zwischen dem Hering und 
dem Walfisch. 
Je kleiner aber die Wesen, desto einfacher zeigte sich ihr Bau, desto 
unvollkommener ihre Lebenstätigkeit, desto tiefer ihre Stellung in der Rang¬ 
ordnung der Geschöpfe. Unter den Tieren der mikroskopischen Welt sind 
nur äußerst wenige, welche die Grganenfülle eines Insekts, eines Krebses, 
selbst eines Wurmes besitzen- die eigentlichen Infusionstierchen stehen auf 
der untersten Stufe des Tierreichs. Ebenso finden wir unter den mikro¬ 
skopischen Pflanzen keine einzige, welche den entwickelteren Bau der blühenden 
Gewächse erreicht oder auch nur der tieferen Klasse der Farne angehört- 
nur die niedersten Pflanzenformen, die wir gewöhnlich als Ulgen und 
Pilze bezeichnen, bilden die Wälder und wiesen der unsichtbaren Welt. 
Je mehr sich aber der innere Bau der mikroskopischen Wesen ver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.