229
nötigen technischen Mittel waren so kunstvoll angeordnet, daß ihr prak¬
tischer Zweck verdeckt und nur die symbolische Bedeutung empfunden
wurde. Um den hölzernen Kern des Bildes fortwährend mit Öl zu
tränken, waren für dieses im Innern Röhren angebracht und der ganze
Koloß stand in einem flachen schwarzen Marmorbecken, dessen weißer Rand
die abfließende Feuchtigkeit zusammenhielt. Zugleich aber wurde durch
dieses einerseits von dem Gotte, wie es schien, ausgegossene und ihm dar¬
gebrachte, anderseits von ihm kommende Öl, als des Fettes der Erde,
symbolisch sowohl die menschliche Dankbarkeit als auch der göttliche Segen
und Frieden angedeutet, der von ihm ausging.
Der ganze Koloß, mit der Basis 62 Fuß hoch und in seinen ein¬
zelnen Teilen mit großer Feinheit nach den Gesetzen der Optik berechnet
und ausgeführt, erschien in dem nur 6 Fuß höhern Tempel noch größer,
als er wirklich war. Es sollte dadurch die Erhabenheit des Gottes über
alle menschliche Größe, alles, was ihn umgab, klein, seine Wohnung selbst,
die ja nur für ihn, nicht er für sie bestimmt war, recht augenscheinlich
zu enge erscheinen, um ihn zu fassen: damit nur er, nichts anderes der
Gegenstand der Bewunderung und Anbetung sei und bleibe.
Und die Urteile der Alten stimmen alle darin überein, daß dieses
Bild des Phidias das großartigste und schönste gewesen sei, was je
menschliche Hände geschaffen, menschliche Augen geschaut haben. Der
römische Feldherr Paulus Ämilius, ein Mann von starken Nerven,
gestand, daß, als er in den Tempel zu Olympia eingetreten und den
gleichsam gegenwärtigen Gott geschaut, es ihm die Seele erschüttert habe,
so daß er sofort, wie dem kapitolinischen Gott in Rom, das schönste
Opfertier dargebracht. Man reiste daher auch noch zu des Epiktetus
Zeit eigens nach Olympia, um den Zeus des Phidias zu sehen, und zu
sterben, ohne ihn gesehen zu haben, galt als ein Unglück; ja es wird
bezeugt, daß durch dieses Bild der religiöse Glaube selbst einen Zuwachs
erhalten und erhöht worden sei, so sehr habe das Bild die Majestät des
Gottes erreicht. Ja noch am Abend des hellenischen Lebens schildert der
bithynische Redner Dion Chrysostomus den Eindruck des Bildes in
folgenden denkwürdigen Worten: „Ist ein Mensch, dessen Seele ganz von
Kummer niedergedrückt wird, da er viel Mißgeschick und Leiden im Leben
erduldet hat, so daß selbst der süße Schlaf ihn flieht: auch dieser wird
dem Bilde gegenüber alles vergessen, was er Schweres in seinem Leben
erfahren hat; denn wie ein leidenverscheuchendes Zaubermittel (Nepenthes)
wirke das Bild, von Licht und Anmut umflossen; wer es gesehen, könne
fortan keine andere Vorstellung mehr von dem Gotte sich machen. Also
throne er friedlich und durchaus gnädig über das einträchtige und ruhige
Hellas, in der Stadt der Eleer, mild und ehrwürdig, in heiterer Gestalt,