Full text: Mancherlei für Jung und Alt

271 
Hallen selbst, so glaubt man für einen Augenblick von einer heiligen 
Totenstille ganz umfangen zu sein. Allein bald gewinnen die hohen 
Bögen und die langen Hallen Leben, die Steine gewinnen Sprache und 
die wunderbaren Gestalten der Malerei fangen an zu reden. Sie erzählen 
uns von fernen, dahingesunkenen Zeiten und bringen uns diese in ihrem 
jahrhundertelangen Laufe so lebendig vor die Seele, daß wir ausrufen: 
Hier ist ein Stück Weltgeschichte! Mit leibhaftigem Auge schauen wir das 
Walten des Geistes. Von den ältesten Spuren der Kultur dieser Lande 
bis auf die neuesten Ereignisse sind ringsum zwischen den Grabmälern, 
die ein halbes Jahrtausend hier aneinander gereiht, Denkzeichen der ver¬ 
schiedensten Art aufgerichtet. Eine hetrurische Aschenkiste steht neben einem 
römischen Götterbild, Mosaik und Kaiserbüste vertragen sich friedlich mit 
altchristlichen Symbolen und Heiligengestalten, der fabelhafte erzene Greif 
mit seiner kufischen Inschrift hält gute Nachbarschaft mit einem römischen 
Sarkophag und einem christlichen Taufbecken; prächtige Werke des Mittel¬ 
alters und der Renaissance schließen sich an, und die Barbarei der Barock¬ 
zeit hat sich nur allzu breit gemacht. Auch die neueste Zeit hat Schick¬ 
liches und Edelstes, wie eine schöne Arbeit Thorwaldsens, hinzugefügt. 
Dort ist das Standbild Niccolo Pisanos, hier der Grabstein Benozzo 
Gozzolis, an jener Wand ruhen unter schönem Grabmale die Gebeine 
Kaiser Heinrichs VII. von Luxemburg, der Dantes Hoffnung war. Da¬ 
neben steht die Büste Cavours und ringsum überall rufen Namen und 
Werke große Ereignisse der entferntem und nähern Vergangenheit zurück, 
bis dann endlich die merkwürdigen Hafenketten von Pisa, ein Denkmal 
alten italienischen Städtehasses und neuer nationaler Einheit, die Folge 
geschichtlicher Gedanken gleichsam noch einmal in sich zusammenfassen und 
schließen. Denn sie erinnern uns an den Ursprung und die Macht des 
alten Pisa, an seine unglücklichen Kämpfe mit Genua und Florenz, 
und Inschriften melden, daß diese Ketten jahrhundertelang als Kriegs¬ 
trophäen in jenen Städten mit Stolz gezeigt wurden, bis neuerlichst zum 
Zeichen brüderlicher Eintracht und zum Pfande nationaler Zukunft Florenz 
und Genua diese Denkmäler verjährten Hasses an das versöhnte Pisa 
schenkten. 
Die Malereien nun aber, mit denen die Wände der Hallen ringsum 
geschmückt wurden, leiten jene historische Betrachtung auf das Gebiet der 
Kunst über, während sie doch auch zugleich durch ihre Gegenstände an 
den Ursprung und die höchsten Schicksale des Menschengeschlechtes in Ver¬ 
gangenheit und Zukunft erinnern. So bildet sich ein Kreis reicher und 
großartiger Anregungen, die, wenn auch mannigfaltig und im einzelnen 
sehr verschieden, nicht zerstreuen, die vielmehr eine ernste Sammlung und 
friedliche Erhebung im Gemüte ausbreiten. Diese gehobene und weihe-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.