Full text: Mancherlei für Jung und Alt

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Der Jubel war im ganzen Lande los, 
Denn ach, der Schatten war erbärmlich groß. 
Zwar schauten schon seit tausend Jahren 
Auf meine Schwäche hunderttausend Narren, 
Und wo sie nur an mir ein Pünktlein sah'n, 
Da stimmten sie sogleich Te Deums an. 
Und möcht' ich mich mit Wolken dicht umschleiern, 
Das hieß nur ihre Wut befeuern, 
Ihr Forschen kannte weder Rast noch Ruh', 
Und ihrer Brillen Kraft nahm immer zu. 
Gezählt, gemessen, abgemalt, o Schrecken! 
Sind längstens meiner Ehre kleinste Fleckeil. 
Und, was beinahe mir das Herz will spalten, 
Ich mußte die Laterne dazu halten, 
Denn ohne mein verschwenderisches Licht 
Erblickten sie auch meine Flecken nicht. 
Doch waren jene Krittler nur Gelehrte, 
Um deren Kram kein Mensch sich weiter scherte. 
Verborgen blieb mein schwarzes Mißgeschick 
Des Volkes schwachem, waffenlosem Blick. 
Doch heute — nein, es war nicht zu ertragen, 
Wußt' alle Welt von meiner Schmach zu sagen. 
Da saß am Spiegelquell ein schönes Kind 
Und schaut' sich fast an meinem Schatten blind. 
Da guckt ein Fant — ach, wollt' er in sich gehen, 
Da könnt' er Finsternis zur G'nüge sehen. 
Am Pfluge hält der Ochs und Landmann still, 
Dieweil auch er das Wunder sehen will. 
Der Meißel ruht und Sang und Geigen schweigen, 
Und plötzlich stockt der Schnitter munt'rer Reigen. 
Dort spricht ein Greis mit sreuderhellten Blicken 
Dein unerfahrnen Volke zum Entzücken, 
Wie oft er meinen Glanz schon trübe sah. 
Mit offnem Munde steh'n die Lassen da. 
Warum so froh, wenn dem erhab'nen Licht 
Von seinem Glanz ein kleiner Teil gebricht? 
Wie kommt es, daß, wenn edle Menschen fallen, 
Sogleich die tausend Glocken Famas schallen? 
Daß ihr die nachtumhüllte Majestät 
Weit lieber als die eignen Flecken seht? 
Und wie nun, wollt' ich in: gerechten Grimme 
Erheben meiile laute Flammenstimme, 
Und, was ich drunten auf der Erde seh', 
Wenn ich den stillen Gang des Wohlthuns geh', 
Verkünden; wollt' ich eure schwarzen Thaten, 
Wie ihr die meinen, vor der Welt verraten, 
Wo nahm' ich Worte her? Drum laßt mich nun 
Mit meinem Glanz und meinen Flecken ruh'n. 
Sie sind auch Flecken bloß in euern Blicken, 
Denn meinen Glanz wird nie ein Mond umstricken; 
Und nochmal — wollt ihr echtes Dunkel seh'n, 
So mögt ihr füglich in euch selber geh'n. 
V. Gall Morel.
	        
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