§ 9. Das Nibelungenlied.
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Sie sprach: „Nun hört, Ihr Recken, wie er mir eingesteht,
Daß er an meinen Leiden schuld. Wie's ihm darum ergeht,
Ihr Mannen König Etzels, mich kümmern soll es nicht."
Die übermüt'gen Degen sah'n einander ins Gesicht.
Doch keiner der Hennen mag es wagen, die beiden gewaltigen Recken zu
bestehen; daher kehren diese festen Schrittes zu ihren Königen zurück, um mit ihnen
zum Königspalaste zu gehen, wo Etzel sie freundlich und arglos empfängt und
herrlich bewirtet.
Dreißigstes Abenteuer.
Wie sie Schilüwacht hielten.
Als die Nacht hereinbricht, begeben sich die Helden in einen weiten Saal zur
Ruhe. Doch bange Sorge liegt auf jedem.
„Laßt," sprach der Degen Hagen, „Eure Sorge ruh'n;
Ich will heut' Nacht Erich selber Wächterdienste thun.
Ich Hofs' Euch zu behüten bis morgen an den Tag,
Des seid ohne Sorge; dann rette sich, wer da mag."
Da neigten sie sich alle und sagten ihm des Dank.
Sie gingen nun zu Bette; es dauerte nicht lang,
Da legte sich nieder manch weiblicher Mann.
Hagen der kühne sich zu wasfnen begann.
Da sprach der Fiedelspieler, Volker der Held:
„Verschniäht Ihr es nicht, Hagen, so wollt' ich Euch gesellt
Bis morgen in der Frühe Schildwacht halten heut'."
Liebreich dankte Völkern der Held und sprach hocherfreut:
„Nun lohn' Euch Gott im Hipnnel, lieber Volker!
Zu allen meinen Sorgen wünscht' ich mir niemand mehr
Als nur Euch alleine, kam' ich je in Not.
Ich will's Euch wohl vergelten, wenn mich nicht hindert der Tod."
Da kleideten die beiden sich in ihr licht Gewand;
Es faßte jedweder den Schild an seine Hand.
Sie gingen aus dem Hause vor die Thür dahin
Und hüteten der Gäste; das geschah aus treuem Sinn.
Volker der schnelle legte von der Hand
Den guten Schild und lehnte ihn an des Saales Wand.
Zurück dann ging er wieder, die'Fiedel er nahm.
So dient' er seinen Freunden, daß es zustatten ihnen kam.
An des Hauses Thüre setzt' er sich aus den Stein;
Ein kühn'rer Fiedelspieler konnte nirgend sein.
Als der Saiten Tönen so süß ihm erklang,
Die herrlichen Gäste sagten Volker dafür Dank.