§ 9. Das Nibelungenlied.
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Sie sprach, sie that' es gerne. Da trennt' Herr Dieterich
Mit weinenden Augen von den Helden sich.
Da rächte sich entsetzlich König Etzels Weib:
Den auserwählten Degen nahm sie Leben und Leib.
Getrennt in das Gefängnis ließ sie sie legen da,
Daß keiner mehr den andern im Leben wiedersah,
Bis sie das Haupt des Bruders hin vor Hagen trug.
Ihre Rache stillte Kriemhild an beiden genug.
Da ging die Königstochter hin, wo sie Hagen sah;
Wie feindselig sprach sie zu dem Recken da:
,,Wollt Ihr mir wiedergeben, was Ihr genommen mir,
So könnt Ihr nach Burgund wohl noch lebend kommen von hier."
Da sprach der grimme Hagen: ,,Umsonst ist jedes Wort,
Edle Königstochter. Ich schwur, daß ich den Hort
Nimmer zeigen wolle, solang der Herren mein
Einer noch am Leben, so soll er niemandes sein." —
,,So bring' ich es zu Ende," sprach das edle Weib.
Dem Bruder ließ sie nehmen Leben und Leib;
Das Haupt, das abgeschlag'ne, sie bei den Haaren trug
Vor den Tronjerhelden; da hatt' er Leides genug.
Als der Unmutvolle das Haupt des Herren sah,
Zu Kriemhilden sagte der kühne Recke da:
,,Du hast's nach deinem Willen zu Ende nun gebracht,
Alles ist ergangen, wie ich mir hatte gedacht.
„Run ist von Burgunden der edle König tot,
Geiselher der junge und auch Herr Gernot.
Den Schatz weiß nun niemand als Gott und ich allein;
Der soll dir Teufelsweibe immer wohl verhohlen sein."
Sie sprach: ,,So habt Ihr übel Vergeltung mir gewährt.
So will ich doch behalten Siegfriedens Schwert;
Das trug mein holder Trauter, als ich zuletzt ihn sah,
An dem mir tiefes Herzleid nur durch Eure Schuld geschah."
Sie zog es aus der Scheide, er hatte keine Wehr,
Des Lebens zu berauben den Recken kühn und hehr.
Sie hob es mit den Händen, das Haupt schlug sie ihm ab.
Das sah der König Etzel, dem es großen Kummer gab.
„Wehe," sprach der König, „wie liegt nun gefällt
Durch eines Weibes Hände der allerbeste Held,
Der je zum Kampf gekommen, der einen Schild je trug!
Wie feind ich ihm gewesen, es macht mir Schmerzen genug."