58 I. Beschreibende Prosa: Kulturgeschichte.
in demselben Verhältnis, in welchem sich gegenwärtig Deutschland zu
England befindet*.
Unter den hanseatischen Städten nahm z. B. Danzig eine wahre
Weltstellung ein. Seit dem Anfange des 15. Jahrhunderts staub der
dortige Handel mit allen Ländern, welche im Bereiche des hanseatischen
Seeverkehrs lagen, von Lissabon im Westen bis nach Nowgorod und
Finnland im Osten in unmittelbarem Verkehre und eröffnete sich außerdem
nach Litauen, Polen und Ungarn besondere Wege. Aus den skandina¬
vischen Reichen holten die Kaufleute namentlich Eisen, Kupfer, Pelzwerk,
Fischwaren, Pech, Harz, Teer und verschiedene Holzarten und führten
dagegen unter anderem seine wollene Tücher, Seidenwaren, Sammet,
Metallwaren, Roggen, Weizen, Flachs, Hanf, Hopfen, Öl, rheinische und
spanische Weine, Spezereien und Leinwand ein. Nach Lissabon verluden
die Schiffe Holz, Mehl, Bier und getrocknete Fische und brachten Salz,
Kork, Öl, Feigen, Rosinen, Orangen, seine Weine und kostbares Pelzwerk
zurück. Von der portugiesischen Regierung wurden die Kaufleute beson¬
ders zur Einfuhr von Schiffsbauholz durch Begünstigungen ermuntert.
Gleich rege war ihr Verkehr mit der Küste von Galizien und mit der
Westküste Frankreichs, vornehmlich mit Baie, einem Hafenplatze südlich von
Nantes, von wo sie außer anderen Waren das berühmte Baiensalz ein¬
führten. Im Jahre 1474 suchten 72 Danziger Schiffe jene Gegend aus
und 51 derselben trafen auf einmal in Weichselmünde ein. Der Verkehr
mit England bestand hauptsächlich in dem Austausche von Getreide und
Holz aus den Weichselländern gegen englische Wollenfabrikate und bildete
den wichtigsten Zweig des Danziger Handels. Häufig sandte die Stadt
jährlich 600—700 Schisse mit Getreide nach England. Aus Schottland
führten die Danziger Wolle und Pelzwerk ein. Nach Flandern brachten
sie die verschiedensten Holzarten und Getreide und holten von dort, ins¬
besondere aus Brügge, dem Sammelpunkte aller Nationen, die mannig¬
fachsten Erzeugnisse des Gewerbfleißes. Wie großartig der Verkehr mit
Holland war, läßt sich daraus ersehen, daß allein in dem Jahre 1481
nicht weniger als 1100 Schisse, groß und klein, mit Korn beladen, dorthin
ausliefen, und die Holländer in Danzig von September 1441 bis Mai
1447, also in 5V2 Jahren, mehr als 12 000 000, nach jetzigem Geldwerte
also etwa 120 000 000 Thaler Pfundgeld entrichteten. Die Schiffe waren
zu Flotten von je 30—40 Fahrzeugen vereinigt, und jeder dieser Flotten
1 Easterlings oder östliche Kaufleute wurden die Hansen in England genannt
im Gegensatze zu den westlichen oder Belgiern und Holländern; das Wort Sterling
oder Pfund Sterling ist eine Abkürzung von Easterlings, weil alles in England
cirkulierende Geld lange Zeit hanseatisches Geld war.