Full text: Dichtung des Mittelalters (Teil 1)

84 Dritte Periode, von 1100 bis 1300, oder erste Blüteperiode. 
6. Volker der schnelle legte von der Hand 
Den guten Schild und lehnte ihn an des Saales Wand. 
Zurück dann ging er wieder, die Fiedel er nahm. 
So dient' er seinen Freunden, daß es zu statten ihnen kani. 
7. An des Hauses Türe setzt' er sich auf den Stein; 
Ein kühnrer Fiedelspieler konnte nirgend sein. 
Als der Saiten Tönen so süß ihm erklang, 
Die herrlichen Gäste sagten Volker dafür Dank. 
8. Da tönten seine Saiten, daß rings erklang das Haus; 
Durch Geschick und Stärke gleich zeichnet' er sich aus. 
Süßer und sanfter zu fiedeln hob er an; 
So spielt' er in den Schlummer manchen sorgenden Mann. 
9. Als sie entschlafen waren, und er das hatt' erkannt, 
Da nahm der Degen wieder den Schild in die Hand 
Und ging aus dem Saale vor den Turm hinaus, 
Vor Kriemhildens Mannen die Gäste hütend im Haus. 
10. Um die Mittnachtstunde, wenn's nicht vorher geschah. 
Einen Helm der kühne Volker leuchten sah 
Fernher aus dem Dunkel. Kriemhildens Reckenschar 
Brächte den Gästen gerne Schaden und Gefahr. 
11. Da sprach der Fiedelspieler: „Freund, Herr Hagen, 
Uns ziemt, diese Sorge vereint zu tragen. 
Gewafsnet seh' ich Leute nach dem Hause gehn; 
Wenn ich mich nicht irre, so wollen die uns bestehn." — 
12. „So schweigt", sprach da Hagen, „laßt sie erst näher her. 
Eh' sie uns inne werden, wird mancher Helm gar sehr 
Mit Schwertern zerhauen durch unser beider Hand. 
Sie werden Kriemhilden bös zurückgesandt." 
13. Der Heunenrecken einer das gar bald ersah, 
Daß die Tür behütet war; wie balde sprach er da: 
„Was wir im Sinne hatten, das kann nicht geschehn. 
Ich seh' den Fiedelspieler dorten Schildwache stehn. 
14. „Der trägt auf seinem Haupte hart, stark und ganz 
Einen Helm, so lauter und von lichtem Glanz. 
Auch loh'n die Panzerringe ihm, wie das Feuer tut. 
Neben ihm steht Hagen; die Gäste sind in guter Hut." 
Da wandten sie sich wieder, von schmähenden Worten Volkers verfolgt.
	        
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