Full text: Dichtung des Mittelalters (Teil 1)

11. Das Nibelungenlied. 
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Zwanzigstes Abenteuer. 
Wie König Etzel gen Lurgnnd nach knemhilden sandte. 
Dreizehn lange Jahre hat Kriemhild, der Hagen ihr Liebstes geraubt in ihrem 
Gatten und in dem Nibelungenhort, mit welchem sie Gutes tat, in stillem Leid 
verbracht; aber ihr Herz ist mehr und mehr verhärtet. Die anmutige Jungfrau, 
die beglückte, liebevolle Gattin ist zur harten Witwe geworden, die nur mehr den 
Gedanken der Rache kennt. Da bietet sich ihr eine Gelegenheit, ihre Rache zu ver¬ 
wirklichen. Etzel, der mächtige König der Hunnen, der seine Gattin Helle durch den 
Tod verloren, läßt durch seinen Dienstmann, den herrlichen Rüdiger von Bechlaren, 
um die Hand Kriemhildens werben. Die burgundischeu Könige, in der Hoffnung, der 
Schwester Leid wenden zu können, stimmen der Werbung zu, gegen den Rat Hägens, 
der Böses ahnt. Aber Kriemhild will anfangs von neuer Vermählung nichts wissen, 
denn sie verlor „den Besten, den je eine Frau gewann". Erst als Rüdiger auf ihre 
wiederholte Weigerung ihr insgeheim versprochen, „er woll' Ersatz ihr geben für 
all, was ihr geschah", da „begann ihr herber Kummer ein wenig sich zu fünften". 
1. Er sagte zu der Königin: „Laßt Euer Weinen sein; 
Wenn Ihr bei den Hennen nur hättet mich allein 
Und meine Anverwandten und meine Mannen treu. 
Tät Euch einer etwas, es brächst ihm bittere Reist." 
2. Bei diesem Wort ward leichter der Königin zumut. 
Sie sprach: „So schwört mir Eide, was mir auch jemand tut, 
Daß Ihr seid der nächste, der rächen will mein Leid." 
Da sprach zu ihr der Markgraf: „Dazu bin ich, Frau, bereit." 
3. Mit allen seinen Mannen schwur ihr da Rüdiger, 
Ihr immer treu zu dienen, und daß die Recken hehr 
Ihr nichts versagen wollten in König Etzels Land, 
Wodurch sie Ehre hätte: das schwur ihr Rüdigers Hand. 
4. Da dachte die Getreue: „Wenn ich gewinnen kann 
Mir so viele Freunde, so laß ich reden dann 
Die Leute, was sie wollen, ich jammervolles Weib. 
Vielleicht wird noch gerochen meines lieben Mannes Leib." 
So willigt sie ein, Etzels Frau zu werden. Als sie zur Abreise das ihr noch 
gebliebene Gold Siegfrieds mitnehmen will, verwehrt Hagen ihr das wiederum, und 
so scheidet sie, tief ergrimmt gegen ihren Widersacher, begleitet von dem Markgrafen 
Eckewart und einem großen Gefolge. 
Ginundzwanzigstes Abenteuer. 
Wie Kriemhild ;u den Hrunen fuhr. 
Die Reise geht durch das Bayernland zunächst nach Passau, wo die Königin 
von Bischof Pilgerin begrüßt wird, dann nach Bechlaren, wo ihr von Rüdigers 
Gattin Gotelind freundliches Willkommen geboten wird. Sodann gelangt sie nach 
Treisenmauer, Etzels Burg an der Treisam.
	        
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