Aus dem Italiänischen: Torquato Tasso.
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2. O, Muse, die mit welken Lorberkrouen
Nie auf dem Helikon die Stirn umflicht,
Doch die im Hiinmel, wo die Sel'gen wohnen,
Strahlt mit des Sternenkranzes ew'gem Licht:
Hauch' in die Brust mir Glut aus Himmels¬
zonen!
Erleuchte du mein Lied; und zürne nicht,
Füg' ich zur Wahrheit Zier, schmück' ich bis¬
weilen
Mit anderm, als nur deinem Reiz, die Zeilen.
6. Schon lief das sechste Jahr, seitdem
die Christen
Zum hohen Kampf gen Ost sich aufgemacht.
Nicäa war durch Sturm, durch Ueberlisten
War Antiochien schon in ihrer Macht,
Und wider Persiens Heer, nach kurzem Fristen,
Die Stadt vertheidigt in gewalt'ger Schlacht.
Tortosa fiel; dann räumten sie der" harten
Jahrszeit das Feld, um ausden Lenz zu warten.
7. Und jener feuchte Winter, der dem wilden
Kriegstoben wehrte, war beinah entflohn:
Als aus des Himmels heitersten Gefilden
Der ew'ge Vater, vom erhabnen Thron,
So weit erhöhet ob den Sterngebilden,
Wie sie sind ob des Abgrunds Region,
Das Aug' herniederwandt' und faßt' in Eine
Anschauung, was die Welt in sich vereine.
8. Er schaut das All, und weilet bei der
Franken
Heerführern, die in Syriens Gau'n verziehn;
Und mit dem Blick, dem in des Busens
Schranken
Stets die geheimste Regung klar erschien,
Sieht er den Gottfried glühn von dem Ge¬
danken,
Die heil'ge Stadt den Heiden zu entziehn,
Und, treu und eifrig, jedes ild'sche Trachten
Rach Ruhm der Welt, Herrschaft und Gold
verachten.
9. Er sieht in Balduin die Begierde lauern
Rach allem, was zur Erdengröß' erhebt;
Und wie Tancred, versenkt in tiefes Trauern
Durch Liebeswahn, nur wider Willen lebt;
Wie Bohemund in Antiochiens Mauern
Sein neues Reich fest zu begründen strebt,
Gesetz und Sitten einführt, und Belehrung
In Künsten gibt und wahrer Gottverehrung;
10. Und wie sein Geist, nur thätig und
geschäftig
Bei diesem Werk, nichts andres denkt noch thut.
Dann siehet er Rinaldo kühn und kräftig,
Der Ruhe feind, entflammt von Kriegesmuth.
Richt Gold noch Herrschaft lockt ihn an, doch
heftig
Durchlodert ihn der Ehr' unmüß'ge Glut.
Er sieht ihn treu an Guelfo's Munde hangen
Und edler Vorzeit würd'ge Kund' empfangen.
11. Doch als der Herr des Weltalls wahr¬
genominen
Den tiefsten Wunsch, den jedes Herz gebar,
Heißt er den Gabriel zum Thone kommen,
Den zweiten aus der ersten Engel Schaar,
Der immer zwischen Gott und seinen Frommen
Ein froher Bot' und frommer Dolmetsch ivar;
Er bringt hinab die himmlischen Befehle
Und bringt zu Gott das Flehn der gläub'gen
Seele.
12. Ihm sagt der Herr: Zu Gottfried,
meinem Treuen,
Eil' hin und sprich : Warum nunmehr ver¬
ziehn?
Warum nicht jetzt mit Macht den Krieg erneuen,
Jerusalem dem Joche zu entziehn?
Die Fürsten ruf' er in den Rath, die Scheuen
Sporn' er zum Werk; zum Feldherrn wähl'
ich ihn.
Ich wähl' ihn hier; die Andern thun's aus
Erden,
Die, einst ihm gleich, jetzt seine Diener werden.
13 So spricht der Herr; und diesem nach¬
zuleben,
Bereitet sich der Engel alsobald.
Lust muß den unsichtbaren Leib unuveben,
Von ihm geformt gur menschlichen Gestalt,
Um sich den ird'schen Sinnen kund zu geben,
Doch von des Himmels Majestät umwallt.
Ein Knabe scheint er an des Jünglings
Gräirzen
Undläßtdas blonde Haar von Strahlen glänzen.
14. Dann nimmt er weiße, goldgesäumte
Schwingen,
Die unermüdlich sind und schnell und leicht
Der Wind und Wolken Region durchdringen,
Daß Meer und Land tief unter ihm entweicht.
Er eilt, vom Himmel sich herabzuschwingen;
Bald hat er schon die untre Welt erreicht,
Läßt auf dem Berge Libanon sich nieder
Und wiegt sich auf verbreitetem Gefieder.
15. Nun lenkt er, abwärts fliegend, seine
Pfade
Nach dem Gefild, in dem Tortosa ruht.
Die Sonn' entsteigt dem östlichen Gestade
Zum Theil herauf, doch mehr noch in der Flut;
Und Gottfried sendet zu dem Quell der Gnade
Sein frühes Flehn, wie er gewöhnlich thut:
Da, mit der Sonne, doch in heller,n Lichte,
Erscheint der Engel seinem Angesichte,