Full text: Für Oberklassen (Teil 2, [Schülerband])

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seiner Wohnung eine lange Gasse dicht gedrängter Zuschauer, und von 
allen Seiten erscholl es: „Das Haupt entblößt!“ sobald er sich näherte. 
Die Valer hoben ihre Kinder in die Höhe und sprachen: „Sehet ihn euch 
an! Der ists!“ Kaiser und Könige bewarben sich um den gefeierten 
Mann, er blieb aber in seinem lieben Weimar, obgleich der König von 
Preußen ihm einen Jahrgehalt von mehreren 1000 Thalern anbieten ließ. 
Der Konig von Schweden schickte ihm zum Beweise seiner Hochachtung 
einen kostbaren Brillantring. 
Am 9. Mai 1805 schied dieser große Denker, Dichter und Mensch 
von dieser Erde, zu früh für die Menschheit. Die Gebrechen des Alters 
und die Abnahme der Geisteskraft hat er nicht empfunden; er starb in der 
kräftigsten Mannesblüte. Der Jammer um ihn war groß, nicht bloß in 
Weimar, sondern in ganz Deutschland und darüber hinaus. Zwölf junge 
Männer aus den höheren Ständen trugen den Sarg mit der Leiche des 
selig Entschlafenen. Späterhin wurde derselbe in der fürstlichen Gruft 
beigesetzt, wo jetzt der Großherzog Karl August neben Schiller und Goethe 
ruht. Nach Gittermann. 
30. Aus Schillers „Lied von der Glocke“. 
1. Das Samenkorn. 
Dem dunkeln Schoß der heil'gen Erde 
Vertrauen wir der Hände That, 
Vertraut der Sämann seine Saat 
Und hofft, daß sie entkeimen werde 
Zum Segen nach des Himmels Rat. 
VNoch köstlicheren Samen bergen 
Wir trauernd in der Erde Schoß 
Und hoffen, daß er aus den Särgen 
Erblühen soll zu schönerm Los. 
2. 
Munter fördert seine Schritte 
Fern im wilden Forst der Wandrer 
Nach der lieben Heimathütte. 
Bloökend ziehen heim die Schafe, 
Und der Rinder 
Breitgestirnte, glatte Scharen 
Kommen brüllend, 
Die gewohnten Ställe füllend. 
Schwer herein 
Schwankt der Wagen, 
Kornbeladen; 
Bunt von Farben, 
Auf den Garben liegt der Kranz, 
Und das junge Vollk der Schnitter 
Jlieg zum Tanz. 
arkt und Straße werden stiller; 
m des Lichts gesell'ge Flamme 
Sammeln sich die Hausbewohner, 
Und das Sitadtthor schließt sich knarrend. 
Schwarz bedecket 
Sich die Erde; 
Dod den sichern Bürger schrecket 
In der Stadt. 
Nicht die Nacht, 
Die den gräßlich wedcet; 
Denn das Auge des Gesetzes wacht. 
Heil'ge Ordnung, segensreiche 
Himmelstochter, die das Gleiche 
drei und leicht und freudig bindet, 
ie der Städte Bau gegründet, 
Die herein von den Gefilden 
Rief den ungesell gen Wilden, 
Eintrat in der Menschen Hütten, 
Sie gewöhnt zu sanften Sitten 
Und das teuerste der Bande 
Wob, den Trieb zum Vaterlande 
Tausend fleiß'ge Hände regen, 
Helfen sich in munterm Bund, 
Und in feurigem Bewegen 
Werden alle Kräfte kund. 
Meister rührt sich und Geselle 
In der Freiheit heil'gem Schutz; 
Jeder freut sich seiner Stelle, 
Bietet dem Verächter Trutz. 
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