Abriß der Rhetorik.
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3) Die BegritttdUNg (confirmatio s.
probatio).
4) Die Widerlegirng der Gegengrunde
(confutatio 8. ropr6h6n8io).
5) Der Schlltsj (peroratio s. conclusio).
Die Widerlegung ist zugleich eiu Theil der
Vegrundung, daher man auch wohl nur vier
Haupttheile der Rede annimmt. AuHerdem
nennt man noch: die Eintheilung (parti¬
tio), welche zur Darlegung des Hauptsatzes
gehort; die Gemuthserregung (affectuum
motus s. pathos), welche zum Schlutz gezogen
wird, und die Ausmalung oder Erlauterung
(amplificatio 8. illustratio), welche sich vor-
zugsweise auf die Beweisfuhrung, aber auch
uber die anderen Theile der Rede erstreckt.
1. Vom Eingang.
8- 5.
Der Eingang (exoräium)hat zum Zweck,
den Hörer (rücks. Leser) 1. sich geneigt (be¬
nevolus), 2. aufmerksam (attentus), und
3. gelehrig (docilis) zu machen. Das erstere
nennt man die Gewinnung des Wohlwollens
(captatio benevolentiae). Nur unter beson¬
deren Umständen bedarf es dafür einer ein¬
leitenden besonderen Hinwirkung, wenn nämlich
zu einem gewissen Mißwollen oder Mangel
an Zutrauen Veranlassung vorliegt; immer
aber gilt die Regel, im Eingänge alles zu
meiden, was abstoßend wirkt, insbesondere
also alles Prätentiöse und Affeetirte, alles An-
maßliche und Selbstgefällige, welches letztere
sich oft gerade in einer absichtlichen Bewerbung
um Wohlwollen, unter dem Scheine von Be¬
scheidenheit, an den Tag fegt — Die Auf¬
merksamkeit wird besonders erregt durch Wich¬
tigkeit und durch Neuheit. — Die Gelehrigkeit
bezieht sich auf die Verständlichkeit der Sache,
und bedarf also nur unter gewissen Umständen
von Seiten des Gegenstandes oder der Zuhörer
einer besonderen Vorberücksichtigung.
Der Eingang wird hergenommen: 1.
Von den Umständen (ab adjunctis), d. h. von
den Verhältnissen der Personen, des Ortes, der
Zeit und Gelegenheit; z.B. Cicero in seiner
Rede für Roscius: von seiner Jugend und
seinem geringen Ansehen. Sehr gewöhnlich
und natürlich ist diese Art von Eingang bei
Fest- und Gelegenheitsreden. 2. Von der Ab¬
sicht und dem Endzweck des Redenden. So
besonders bei berathenden und parlamentari-
schen Reden, wo der Redner sogleich angibt,
warum und wozu er sich das Wort erbeten
habe. 3. Von dem Wesen der Sache selbst;
namentlich von ihrer Wichtigkeit, oder von
einem allgemeinen Interesse, wozu die Sache
in naher Beziehung steht. Man nennt dieses
den Uebergang von der thesis zur hypothesis
oder von dem Allgemeinen zum Besonderen;
z. B. der Eingang von dem Werthe der Tu-
gend überhaupt, wenn der Gegenstand selbst
eine besondere Tugend ist; oder von der Würde
des Menschen, wenn über einen diese Würde
entstellendenFehler gehandelt werdensoll. Diese
Art von Eingang eignet sich besonders für
didaktische Reden, also auch für die gewöhn¬
lichen entwickelnden Aufsätze oder Abhand¬
lungen. 4. Von den sogenannten Erläute¬
rungen (ab illustrationibus), z. B. von einem
zum Gegenstände gehörigen Beispiele, einer
Fabel oder Erzählung, eimen Bilde oder Ver¬
gleiche, einem Ausspruche eines bedeutenden
Mannes, einem Sprüchworte oder einer Sen
tenz rc. Diese Art von Eingängen hat ge¬
wöhnlich etwas Belebendes und Nebcrraschen-
des, kann aber auch manierirt und affcctirt
werden. 5. Von einem Wunsche oder einem
Ausrufe (nur in seltenen Fällen angemessen,
da es von vorn herein eine asfectvolle Stim¬
mung voraussetzt). 6. Von dem Gegentheile
des Hauptsatzes; eine sehr fruchtbare und
mannigfaltige Form für Eingänge; z. B. der
Eingang von der Wahrhaftigkeit, wenn über
Lüge oder Heuchelei gehandelt werden soll.
7. In plötzlicher und abgerissener Weise (ex
abrupto), wie jenes Ciceronische (chwusgue
tandem.
Als Regeln für den Eingang, nach In¬
halt und Form, können folgende gelten. Er
sei: 1. einfach und natürlich, wenn er nicht
ex abrupto geschieht; — 2. den Umständen
und Personen angemessen; — 3. mit der
Hauptsache enge zusammenhangend, also nicht
zu weit hergeholt und nicht zu allgemein,
sondern einzig für den vorliegenden Fall
passend; — 4. und doch von der Hauptsache
getrennt, d. h. so, daß nicht schon ein Haupt
punkt, der in die Rede selbst gehört, vorweg
genommen werde; — 5. bei aller Einfachheit
doch in seiner Art neu und ansprechend; —
6. kurz.
Anmerkung. Der Eingang kann in der
Regel erst nach Auffindung des gesammten
Gedankenstoffes, also eigentlich erst zuletzt ge
macht werden. Dabei aber bleibt es auch wahr,
daß ein glücklicher Anfang oft wie ein Quell
ist, woraus sich auch bei der Meditation das
Uebrige mit besonderer Fülle und Kraft ergießt
und nach Inhalt und Form gestaltet. Vor
allem hat man sich zu hüten, das; man nicht
im Eingänge schon das Thema selbst bespricht;
sonst wirft man leicht einzelne Gedanken und
Sätze hin, die eine volle Entwickelung in der
eigentlichen Abhandlung verdienen. Dieses gilt
besonders für Anfänger, namentlich bei Schul¬
aufsätzen.