Full text: Handbuch für den deutschen Unterricht in den oberen Klassen der Gymnasien (Theil 2)

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Abriß der Literaturgeschichte« 
Dichten sich zunieist mit Meinungen und all¬ 
gemeinen Wahrheitssätzen den nöthigen Ge¬ 
halt zu geben sucht. Gegen Ende des Mittel¬ 
alters erwuchs aus den Verhältnissen der Zeit 
der Drang zum Satirischen; Brant's Nar¬ 
renschiff steht an der Spitze; ihm folgt 
Murner; und es erhält sich die satirische 
Richtung das ganze 16. Jahrhundert hin¬ 
durch, bald zum Spaßhaften, bald zum Bit¬ 
teren und bald zur gemeinsten Schmähung 
geneigt. Fischart übte dabei besonders die 
komische Verdrehung der Sprache. Opitz 
und seine Schule hatte wesentlich einen didak¬ 
tisch-beschreibenden Charakter, und es erhielt 
sich dieser bis auf Klopstock herab. Daneben 
trat mit dem Verfall der ersten Schlesischen 
Dichterschule natürlich auch wieder die Satire 
hervor, namentlich die literarische zwischen 
den Dichtern selbst. Klopstock war es haupt¬ 
sächlich, der die Poesie von den Absichtsfesseln 
und dem Reflexionsfroste befreite. Innerhalb 
der folgenden Blütezeit ist als größeres didak¬ 
tisches Gedicht am bedeutendsten Tiedge's 
Urania. Gegen Ende dieser neuen Blüte 
zeigte sich naturgemäß auch wieder das Di¬ 
daktische und Satirische, namentlich bei Rückert 
und Platen. Die politische Tendenzpoesie 
gehört derselben Stufe an. 
§.9. Verlauf der Prosa. 
Die Prosa gestaltet sich naturgemäß in 
der Literatur später als die Poesie, eben weil 
die prosaische Mittheilung dem gewöhnlichen 
Leben angehört, dagegen eine ungewöhnliche, 
durch sich selbst gefällige, kurz, eine poetische 
Form der Sprache und Darstellung verlangt 
wird, wenn etwas eine öffentliche Bedeutung 
und bleibende Geltung gewinnen soll. So ist 
es auch mit der nationalen Ausbildung der 
Prosa in Deutschland geschehen. Daneben 
aber brachte es die Einführung des Christen¬ 
thums mit sich, daß frühzeitig die Uebersetzung 
christlicher Schriften geübt wurde; so schon 
die Bibelübersetzung des Ulphilas. Auf Ueber¬ 
setzung beschränkte sich denn auch haupt¬ 
sächlich die Deutsche Prosa der ganzen ersten 
Periode; besonders thätig war darin Notker. 
von St. Gallen im 11. Jahrhundert. Im 
13. Jahrhundert gestaltete sich die Prosa in 
unmuthiger Einfachheit der Construction und 
in blühendem Reichthum des Ausdrucks, zu¬ 
nächst durch die herumziehenden Prediger aus 
dem Franciscaner-Orden (David von Augs¬ 
burg, Bruder Bertholdß dann aber besonders 
im 14. Jahrhundert durch die Dominicaner 
(Tauler, Suso). Man begreift diese Schrift¬ 
steller gewöhnlich unter dem Namen der 
Deutschen Mystiker. Neben dieser reli¬ 
giös-didaktischen Prosa begann auch die histo¬ 
rische in Chroniken, Legenden und Erzählun¬ 
gen, woran sich im 15. Jahrhundert die so 
genannten Volksbücher anschlossen. Zugleich 
erwachte gegen Ende des Mittelalters ein 
reger Eifer für Uebersetzungen; bis zum 
Jahre 1518 hat man »schon vierzehn verschie¬ 
dene Bibelübersetzungen als gedruckt nach¬ 
gewiesen. Eben so verbreitete sich die Ueber¬ 
setzung über die Griechischen und Römischen 
Classiker. Mit welcher Sicherheit damals die 
Prosa ihre weitere Entwickelung verfolgte, 
zeigen die Predigten Geiler's von Kaisersberg 
(st 1510). Die religiösen Bewegungen des 
16. Jahrhunderts gaben der prosaischen Lite¬ 
ratur einen neuen Antrieb; zugleich aber 
verfiel sie alsbald der herrschenden Rohheit 
und Geschmacklosigkeit. Innerliche Naturen 
gaben auch der Prosa ein edleres Gepräge; 
so besonders I. Arndt (st 1621), dessen Dar- 
i stellung an die alten Mystiker erinnert. Ver¬ 
wandt damit sind die theosophischen Schriften 
Jakob Böhme's. 
Das 17. Jahrhundert ist die eigentliche 
Vorschule ver neueren Deutschen Prosa, nicht 
aber durch die Darstellung selbst, sondern 
durch die allmähliche Festsetzung der neuhoch¬ 
deutschen Sprache. Die Darstellung ist viel¬ 
mehr ausgezeichnet durch Breite und Steifheit, 
und neben reinen Sprachformen herrscht eine 
gelehrte Sprachmengerei, wie sie wohl in der 
ganzen Welt noch nicht ihres Gleichen gehabt 
hat. 
Mit dem 18. Jahrhundert geht die Prosa 
rasch einer allseitigen Sicherheit entgegen; 
die Schriften eines Mosheim (geb. 1694) und 
Gellert (geb. 1715) sind zum Theil noch heute 
Muster der Sprache und Darstellung. Vgl. 
S. 682 u. 696. Wesentliche Veränderungen 
sind nicht vorgegangen, nur daß die gebildete 
hochdeutsche Ausdrucksweise eine allgemeinere 
geworden. Einzelne Schriftsteller haben na¬ 
türlich eine besondere Höhe in der Darstellung 
erreicht und sich bald mehr durch Reinheit und 
Feinheit, bald mehr durch Wärme und Schwung 
ausgezeichnet. Im klebrigen ist es eine Eigen¬ 
thümlichkeit der neueren Literatur, daß die 
Dichter zugleich vielfach in der Prosa thätig 
waren und ihre Vorzüglichkeit nach beiden 
Seiten hin gleichmäßig bewährten; freilich 
auch umgekehrt, daß Schriftsteller, die bei 
der Prosa hätten bleiben sollen, sich unberufen 
in die Poesie begaben. 
Daß neben der Deutschen Literatur zu¬ 
gleich eine reiche Lateinische auf Deutschem 
Boden entsprossen, ist schon oben S. 763 be¬ 
merkt worden. Welch einen Reichthum hat 
allein im Gebiete der Geschichtschreibung die 
große Pertz'sche Sammlung aufgedeckt, und 
zwar nicht bloß stofflich, sondern auch hin¬ 
sichtlich der Darstellung.
	        
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