Full text: Sieben Bücher deutscher Dichtungen

Siebentes WucH. 
Dichtungen der Gegenwart. 
(1830 — 1880.) 
Lorelei- 
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, 
Daß ich so traurig bin; 
Ein Märchen aus alten Zeiten, 
Das kommt mir nicht aus dem Sinn. 
Die Lust ist kühl, und es dunkelt, 
Und ruhig fließt der Rhein; 
Der Gipfel des Berges funkelt 
Im Abendsonnenschein. 
Die schönste Jungfrau fitzet 
Dort oben, wunderbar; 
Ihr goldnes Geschmeide blitzet, 
Sie kämmt ihr goldenes Haar- 
Sie kämmt es mit goldnem Kamme, 
Und singt ein Lied dabei; 
Das hat eine wundersame, 
Gewaltige Melodei 
Den Schiffer im kleinen Schiffe 
Ergreift es mit wildem Weh; 
Er schaut nicht die Felsenriffe, 
Er schaut nur hinauf in die Höh'. 
Ich glaube, die Wellen verschlingen 
Am Ende Schiffer und Kahn; 
Und das hat mit ihrem Singen 
Die Lorelei gethan. H. Heine. 
Das Meer. 
1. 
Wir saßen am Fischerhause 
Und schauten nach der See; 
Die Abendnebel kamen 
Und stiegen in die Höh'. 
Jm Leuchtturm wurden die Lichter 
Allmälig angesteckt, 
Und in der weiten Ferne 
Ward noch ein Schiff entdeckt. 
Wir sprachen von Sturm und 
Schiffbruch, 
Vom Seemann, und wie er lebt 
Und zwischen Himmel und Wasser 
Und Angst und Freude schwebt. 
Wir sprachen von fernen Küsten, 
Vom Süden und vom Nord, 
Und von den seltsamen Völkern 
Und seltsamen Sitten dork. 
Am Ganges duftet's und leuchtet's. 
Und Riesenbäume blühn. 
Und schöne, stille Menschen 
Vor Lotosblumen knien. 
In Lappland sind schmutzige Leute, 
Plattköpfig, breitmäulig und klein; 
Sie kauern ums Feuer und backen 
Sich Fische, und quäken und schrei'n. 
Die Mädchen horchten ernsthaft. 
Und endlich sprach niemand mehr; 
Das Schiff war nicht mehr sichtbar, 
Es dunkelte gar zu sehr. 
2. 
Der Wind zieht seine Hosen an, 
Die weißen Wasserhosen! 
Er peitscht die Wellen, so stark er kann. 
Die heulen und brausen und tosen. 
Aus dunkler Höh', mit wilder Macht, 
Die Regengüsse träufen; 
Es ist, als wollt'' die alte Nacht 
Das alte Meer ersäufen. 
An den Mastbaum klammert die 
Möve sich, 
Mit heiserem Schrillen und Schreien; 
Sie flattert und will gar ängstiglich 
Ein Unglück prophezeien. 
3. 
Der Sturm spielt auf zum Tanze, 
Er pfeift und saust und brüllt; 
Heisa, wie springt das Schifflein! 
Die Nacht ist lustig und wild. 
Ein lebendes Wassergebirge 
Bildet die tosende See; 
Hier gähnt ein schwarzer Abgrund, 
Dort türmt es sich weiß in die Höh'.
	        
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