Das erste klassische Zeitalter.
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Gieb ihnen Frieden gleich zur Stund."
Die Kön'gin küßt ihn uns den Mund,
Und rief: „Wie konnt ich dus Gebot
DeS höchsten Gott's auch so verkehren?
Soll ich der Vöglein Freude stören?"
Da stutzt derKnab und fraget: „Gott?"—
Ha,Mutter,sprich,was ist das—Gott?"—
„Mein Sohn, ich sag' dir sonder Spott:
Er ist noch lichter denn der Tag,
Deß Gnade richt sich mochte schämen
Menschenantlitz anzunehmen.
Sohn, dieser Lehre denke nach!.
Ihn flehe an in jeder Not,
Deß Treu der Welt stets Hilfe bot.
Doch einer heißet Wirt der Hölle.
Schwarz ist er, Untreu' sein Geselle.
Von dem kehr' ab stets die Gedanken,
Von ihm undvon desZweifels Wanken."
Und mehr noch lehrte ihr Bericht
Ihn von dem Finstern und dem Licht.
2. Das Rolandslied.
Ungefähr um 1175 von dem Pfaffen Konrad auf Veranlassung Herzogs Heinrichs des Löwen
nach einem französischem Original gedichtet, behaitdelt dies Epos die Nolandssage. Die Idee,
welche zu Grunde liegt und oft in großartigen Zügen durchgeführt wird, ist die: Kaiser und Ritter
sind Streiter Gottes und Christi und führen das Schwert zur Ausbreitung und Verherrlichung des
Christentums.
Rolands Tod.
Es fühlt Rolaud, daß er dem Tode nahe,
Durch seine Ohren drängt sich das Gehirn;
Er fleht zu Gott um seine Kampfgenossen
Und fleht für sich zum Engel Gabriel;
Er nahm sein Horn, damit ihn niemand tadle.
Und mit der andern Hand nahm er sein Schwert.
So weit man einen Pfeil vom Bogen schießt,
Geht er gen Spanien vorwärts auf ein Brachfeld;
Bei einem schönen Baum auf einem Hügel,
Da liegen rings der Marmorblöcke vier.
Er fällt nach vorn ins grüne Gras hinunter
Und liegt in Ohnmacht, nah ist ihm der Tod.
Hoch sind die Hügel und gar hoch die Bäume.
Vier Felsen ragen dort von Marmor glänzend.
Ohnmächtig sinkt Roland ins grüne Gras;
Ein Sarazen belauert ihn beständig,
Unter den andern lag er, tot sich stellend,
Und Leib und Antlitz hob er aus dem Blut,
Er springt empor fund nähert sich im Lauf;
Schön war er, stark, von großem Rittertum,
Tödlichen Haß trug er im Übermut,
Er faßte Rolands Leib und Waffen an
Und sprach: „Bezwungen ist der Neffe Karls;
Dies Schwert hier trag ich in Arabien."
Als er dran zog, kam Roland wieder zu sich.
Als Roland fühlt, daß er das Schwert ihm raube,
schlägt er^die Augen auf und spricht das Wort:
„Wie mich bedünkt, der Ünsern bist du keiner!"
Den Olifant, den er nie lassen wollte,
Faßt er und schlägt ihn auf den zieren Helm,
Zerschmettert ihm dabei Stahl, Haupt und Knochen,
Ihm stürzen beide Augen aus dem Kopfe,
Vor Rolands Füßen wälzt er sich zu Tode.