Full text: Grundlagen der deutschen Litteraturkunde (Abt. B)

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II. Althochdeutsche Zeit. 
25 Gefeiert ist so sehr ihr Ruhm, Und ist zugleich doch Jungfrau auch, 
Daß du ihn nicht berechnen kannst. Gebar uns in Vollkommenheit 
Ja, sie ist Mutter hochberühmt Den Herrn der überird'schen Welt. 30 
I'. Die Taufe Christi. 
Von Nazareth der Vaterstadt 
Kam Jesu zu dem Sammelplatz, 
Auf daß Johannes ihn dortselbst 
Empfinge mit der Taufe Bad. 
5 Erstaunen faßt' da alsogleich 
Den würdigen Propheten an; 
Er weigerte die Taufe ihm 
Und sprach begeistert dieses Wort: 
„O Herr, wie könnte das nur fein, 
10 Daß dich berührt je meine Hand 
Und taufe dich im Wasferbad? 
Ich bin ja nur dein armer Knecht. 
Im Gegenteil berühr' du mich 
Und taufe deinen treuen Knecht! 
15 Wie könnt' ich mich vermessen nur, 
Mein Amt erstreck' sich über dich?" 
Mit sanften Worten sprach daraus 
Zu ihm des ew'gen Gottes Sohn; 
Er sagte ihm, er wolle es 
20 Und also müsse es geschehn. 
„Ja, laß es mir geschehen so, 
Wie ich soeben sprach zu dir; 
Es ziemet uns, daß willig wir, 
Was recht und gut, vollziehen hier!" 
25 Und schleunig nun erfüllte er, 
Was von ihm wollte Jesus Christ; 
Er taufte ihn im Wasserbad, 
Wie es der Herr ihm selbst gebot. 
Da öffnete der Himmel sich, 
30 Er hörte, wie der Vater sprach, 
Und hörte, wie er voller Huld 
Des eignen Sohnes Größe pries: 
„Dies ist mein wohlgefäll'ger Sohn, 
Aus vollem Herzen lieb' ich ihn. 
In ihm gefall' ich vollends mir, 35 
Da ich als solchen ihn erzeugt. 
Verlassen hat mich Adam einst, 
Wodurch er selbst zu Grunde ging; 
Doch dieser wird erfüllen mir, 
Ich weiß es, alles, was ich will. 40 
Derselbe ging, wie er nicht sollt', 
Und that, was niemals ich gewollt; 
Doch dieser hier, er will mir so, 
Wie es sich ziemt für meinen Sohn." 
Johannes sah, so wie du weißt, 45 
Vom Himmel kommen Gottes Geist, 
Der ließ auf Christus nieder sich, 
Als er die Taufe spendet ihm. 
Der Taube war er gleich, der Geist; 
Das schickte wohl ganz trefflich sich: 50 
Denn sie ist aller Güte voll 
Und ist ja voller Sanftmut auch. 
Sie trägt die Galle nicht in sich 
Und nichts von herber Bitterkeit; 
Sie kämpfet mit dem Schnabel nicht, 55 
Verwundet mit den Krallen nicht. 
Gerade so der heil'ge Geist. 
Er ist der höchsten Anmut voll, 
In ihm ist Sanftmut, Güte auch 
Und Lieblichkeit recht voller Huld. 60 
Übersetzt von Johann Kelle.
	        
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