Hans Sachs: Der Schneider mit dem Panier. 
79 
Der Teufel kam und bang ihn macht'; 
Erschien kohlschwarz und zottig, rauh, 
Mit feuerstrahlenden Augen auch; 
15 Sehr grausamer Gestalt er war. 
Der bracht' ihm eine Fahne dar, 
Sehr breit, wohl dreißig Ellen lang, 
Die er herum vor dem Kranken schwang 
Ihm zu besondren Schrecken gar. 
20 Dieselb' aus lauter Flicken war, 
Als Parchat, Arlas und Satin, 
Wursat, Zendel und Ormasin, 
Von Sammet, Seiden und Dafant, 
Von Schamlot und von Wollengewand, 
25 Lündisch, Lübisch, Mehlisch, Stammet; 
Das Banner alle Farben hätt': 
Grün, rosenfarb, braun, gelb, weiß, 
blau, 
Rot, schwarz, violett und eselsgrau, 
Von jedem Stück, das er im Leben 
30 Den Leuten nicht zurückgegeben. 
Als nun die Fahn' der Kranke sah, 
Mit lauter Stimme schrie er da; 
Er rauft' sein Haar und rang die Hand 
Und kehrt hinnm sich zu der Wand, 
35 Bebt', als ob er wär' unsinnig gar, 
Ganz wütig und der Sinne bar. 
Man sprach ihm zu mit Trosteswort; 
Drauf eilte denn der Teufel fort 
Mit dem Panier, und die Gedanken 
40 Zurücke kehrten bald dem Kranken. 
Da richtet er sich auf im Bett 
Und seinem Gesinde sagen thät, 
Wie ihm der Teufel erschienen wär' 
Und ihm gedroht hätt' scharf und schwer, 
Er wollt' ihn führen mit sich weg, 
Und hätt' gezeigt ihm Flick und Fleck' 
An einem Banner, die bisher 
Den Mäusen nachgeworfen*) er. 
Das bracht' mir einen solchen Schrecken, 
*) d. h. entwendet. 
Der thut mir noch im Herzen stecken. 50 
Drum bitt' ich, liebe Gesellen mein, 
Wenn ich gesund und frisch werd' sein 
Und wieder schneid' an einem Gewand, 
Daß ihr dann ans Panier mich mahnt, 
Damit ich an die Fahne denke 55 
Und nicht gar tiefer noch versenke 
Die Seel' in solches Ungemach!" 
Als er nun ward gesund hernach, 
Ward, wenn erschnitt an einem Gewand, 
Von den Gesellen er ermahnt, 60 
Er sollte denken ans Panier; 
Dann sprach er: „Ja, Dank habet 
ihr!" 
Einen Monat währte solcher Brauch, 
Bis einst er hat zu schneiden auch 
Ein gülden Stück einer Edelfrauen. 65 
Die Gesellen thaten daraus schauen 
Und sagten, er sollt' ans Banner denken. 
Der Meister spricht daraus mit 
Schwänken: 
„Ich denke wohl an das Panier, 
Von mancher Färb' hat's seine Zier, ^0 
Doch diese ich nicht sah daran; 
Deshalb will ich auch sie noch Han 
Und setzen in die Fahn' hinein, 
Daß sie mir zier' das Banner mein." 
Nachdem schnitt er vom goldnen Stück ~ 0 
Ein Zipfelchen und sprach: „Gut Glück!" 
Und warf's geschwind hin nach der 
Maus, 
So war die Furcht vorm Banner aus. 
Der Beschluß. 
Hier endet sich die Schwankesmüre, 
Aus der man nehmen soll die Lehre, 80 
Daß oft ein Mensch durch Kreuz und 
Plage 
Zu Reu' und Buß' kommt wen'geTage; 
Doch drückt ihn nicht die Plage mehr, 
So lebt' er sündig wie vorher.