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Sobald der Name gelesen ist. 
Es kommen alle dahin als Kind, 
Tie jetzt Erwachsene beim Grale sind; 
Und wohl der Mutter, die geboren 
Das Kind, das sich der Gral erkoren! 
Denn dessen freu'n sich alle gleich, 
Ihre Kinder zu senden, arm und reich. 
Die aus nahen und fernen Landen 
Zu Montsalvas sich zusammenfanden 
Und zu dem Graldienst sind geweiht, — 
Von Todsünden bleiben sie befreit. 
Vom Himmel ist ihr Lohn gewährt. 
Und wenn ihr letzter Tag erschienen 
Auf Erden hier, wird droben ihnen 
Ter Seele letzter Wunsch beschert. — 
Es wurden jene Engelscharen, 
Die teilnahmlos beim Kampfe waren. 
Der schnöde ward von Luzifern 
Erhoben gegen Gott, den Herrn, 
Hinab verwiesen zu der Erde, 
Daß der Gral von ihnen gepflcget werde. 
Ich weiß nicht, ob ihnen Verzeihen 
Gott für den Fehl ließ angedeihen, 
Oder ob sie abgebüßt die Schuld: 
Nach seiner Macht und seiner Huld 
Nahm er zum Himmel sie darnach 
Zurück. Drauf bis zum heut'gen Tag 
Ließ denen Gott nach seiner Wahl 
Ten Stein zur Pflege, die er selbst benannte. 
Und ihnen seinen Engel sandte. 
So stehet, Herr, es um den Gral." 
Parzival lernt in dem frommen Einsiedler seinen Oheim kennen und erführt 
von ihm den Tod seiner Mutter. Fünfzehn Tage verweilt er in dieser Stille und 
Abgeschiedenheit, beichtet dem Oheim und empfängt dessen eingehende Belehrung über 
Gottes Güte und Erbarmen und über die geforderten Eigenschaften eines echten 
Gralritters: Hochmut und Zweifel können niemals den Gral gewinnen; er selbst habe 
der Würde eines solchen entsagt, weil er sich so hoher Ehren unwert erkannt. Sein 
Bruder Anfortas, der König im Gral, sei im Streit unterlegen, weil der Ruf welt¬ 
licher Liebe „zur Demut nicht völlig gut sei." Er sei mit einem vergifteten Speer 
(eben dem, den Parzival in der Gralburg durch den Saal habe tragen sehen) ver¬ 
wundet worden und schleppe nun ein sieches Leben kümmerlich hin, das er doch 
nicht enden könne und dürfe, vielmehr schöpfe er täglich erneute Kraft aus dein An¬ 
schauen des Grals, bis eines Tages ein Ritter erscheinen werde, der nach dem Leiden 
des Königs und nach den Wundern des Grals fragen und sich dadurch als den be¬ 
zeichnen werde, dem Anfortas die Herrschaft übergeben könne. Das sei aber niemand 
anders als Parzival. Kräuter und Wurzeln, ans dem Schnee gegraben, sind des 
Einsiedlers und seines Gastes karge Speise, dürre Blätter ihr Lager, und doch ist 
Parzival noch nie so köstlich bewirtet worden. An der Seele genesen und mit wieder¬ 
gewonnenem Glauben und neuerstarktem Vertrauen auf Gott, von Sünden freige¬ 
sprochen, verläßt er die Höhle seines Oheims und zieht seines Weges fröhlich weiter. 
8. Parzival wird Gralkönig. Fünf Jahre lang ist Parzival nach dem 
Gral umhergestreift, während Gawan in Heldenthaten weltlicher Ritterschaft sich aus¬ 
zeichnet und Abenteuer der Minne besteht. An dem Schauplatz dieses irdischen Glanzes, 
dem „Wunderschlosse", zieht er gleichgültig vorbei, zum Staunen der dort versam¬ 
melten Helden. Später erst tritt er Gawan im Kampf gegenüber und besiegt ihn. 
Darnach besteht er einen Kamps mit dem Führer einer Heidenschar, in dem er seinen 
Halbbruder Feirefiz erkennt. Die Tafelrunde König Arthurs öffnet sich aufs neue für 
den einst von ihr Ausgeschlossenen; und als er nun dort seinen Sitz wieder ein¬ 
genommen, kommt Kundrie, dieselbe Gralsbotin, die ihm einst den Fluch verkündigt, 
angeritten in schwarzem Sammetmantel, mit goldenen Turteltauben, dem Wappen des 
Grals. Diesmal fällt sie zu Parzivals Füßen und fleht weinend um seine Huld. Dann 
wirst sie den Schleier zurück, giebt sich zu erkennen und spricht mit feierlich erhobener 
Stimme zu Parzival: 
„Nun sei demütigen Sinnes froh 
des dir beschied'nen Teiles, 
der Krone menschlichen Heiles! 
Die Inschrift wurde gelesen: 
Du bist zum Herrn des Grals erlesen."
	        
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