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44. Gottes Auge.
Georg Christian Dieffenbach.
Kinderlieder. Mainz o. J. S. 25.
Am hohen Himmel blinken
Viel Sternlein wunderbar;
Sie leuchten durch das Dunkel
So lieblich und so klar.
Also auch Gottes Auge
Gar treu und helle wacht;
So leuchtet seine Liebe
Auch in der dunkeln Nacht.
Der alle Sternlein zählet,
Der kennt und liebt auch mich;
Der ihre Wege lenket,
Führt mich auch gnädiglich.
Wie soll ich, Gott, Dir danken,
Ich bin so arm und klein!
Doch will ich jetzt und ewig
Dein treues Kindlein sein.
45. Die geprüfte Trene.
J. G. v. Herder und A. J. Siebeskind.
Palmblätter. Berlin 1857. Neue Ausg. S. 208
Der Kalif Mutewekul hatte einen fremden Arzt namens
Honain, welchen er wegen seiner großen Wissenschaft sehr ehrte.
Einige Hofleute machten ihm diesen Mann verdächtig und sagten,
da derselbe ein Ausländer sei, so könne man sich auf seine
Treue nicht ganz wohl verlassen. Der Kalif ward unruhig
und wollte ihn prüfen. Er ließ ihn zu sich kommen und sagte:
„Honain, ich habe unter meinen Emirn einen gefährlichen Feind,
gegen den ich seines starken Anhangs wegen keine Gewalt brauchen
fann. Daher befehle ich dir, daß du ein feines Gift zubereitest,
das an dem Toten keine Spur von sich zurückläßt. Ich will
ihn morgen zu Gast laden und mich seiner auf diese Weise
entledigen.“ — „Herr,“ antwortete Honain mit getroster Zu⸗
versicht, „meine Wissenschaft erstreckt sich bloß auf Arzneien, die
das Leben erhalten; andere kann ich nicht zubereiten. Ich habe
mich auch nie bemuüht, es zu lernen, weil ich glaubte, daß der
Lesebuch, Mittelstufe.