Full text: Deutsches Lesebuch für Prima (Teil 8)

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Jetzt aber schaue .ich sicherlich mit ganz wachen Bugen auf dies Papier. 
Dies Haupt, das ich bewege, ist nicht vom Schlafe besangen. Mit Über¬ 
legung und Bewußtsein strecke ich diese Hand aus und habe Empfindungen 
dabei. So deutlich würde ich nichts im Schlafe erleben! 
Ja, aber erinnere ich mich denn nicht, daß ich auch schon von ähnlichen 
(bedanken in Träumen getäuscht worden bin? — Während ich aufmerksamer 
hierüber nachdenke, wird mir ganz klar, daß ich nie durch sichere Merkmale 
den Schlaf vom wachen unterscheiden kann, und dies macht mich so stutzig, 
daß ich gerade dadurch fast in der Meinung bestärkt werde, daß ich 
schlafe. 
Wohlan denn! Sch schlafe, und unwahr sollen alle jene Einzelheiten 
sein: daß ich die Bugen öffne, den Kopf bewege, die Hände ausstrecke, 
ja sogar, daß ich solche Hände, solch einen Körper habe! Trotzdem aber 
müssen wir gestehen, daß uns im Schlafe gleichsam gewisse Malereien 
erschienen, die nur nach dem vorbilde wirklicher Dinge gebildet werden 
konnten, und daß darum wenigstens Bugen, klopf, Hände und der ganze 
Körper als Dinge überhaupt nicht in der Einbildung, sondern in Wirklich¬ 
keit existieren. Denn es können ja selbst die Maler nicht einmal dann, 
wenn sie Sirenen und Satirisken in den allerungewöhnlichsten Gestalten 
darzustellen suchen, diesen in jeder Beziehung neue Eigentümlichkeiten bei¬ 
legen- sie verbinden vielmehr lediglich Glieder verschiedener Geschöpfe be¬ 
liebig miteinander. Ja, selbst wenn sie sich vielleicht etwas so Ueues aus¬ 
denken, daß man überhaupt nie ähnliches gesehen hat, also etwas völlig 
Erdichtetes und Unwirkliches, so müssen doch sicherlich mindestens die Farben 
wirklich sein, mit denen sie dasselbe darstellen. Wenngleich daher auch 
Bugen, Kopf, Hände und ähnliches, selbst als Dinge überhaupt, bloße 
Vorstellungen sein könnten, so muß man doch aus ganz demselben Grunde 
wie oben anerkennen, daß notwendigerweise wenigstens irgend etwas anderes 
noch Einfacheres und Bllgemeineres wirklich fein müsse, aus dem —gleich wie 
oben aus den wirklichen Farben — alle jene wahren oder falschen Bilder 
von Dingen gebildet werden, die in unserem Denken vorhanden sind. Solcher 
Brt scheinen zu sein das Wesen des Körpers im allgemeinen und seine 
Busdehnung, desgleichen die Gestalt der ausgedehnten Dinge, ferner die 
Quantität oder ihre Größe und die Zahl- ebenso der Ort, wo sie sind, die 
Zeit, während der sie bestehen, und Ähnliches. 
Somit könnten wir hieraus wohl nicht mit Unrecht schließen, daß die 
Physik, die Bstronomie, die Medizin und alle anderen Wissenschaften, die von 
der Betrachtung der zusammengesetzten Körper abhängen, zwar ungewiß 
seien, während hingegen die Arithmetik, Geometrie und andere der Brt, 
die lediglich die einfachsten und allgemeinsten Dinge behandeln und sich 
wenig darum kümmern, ob dieselben in Wirklichkeit da sind oder nicht, 
etwas Sicheres und Unzweifelhaftes enthalten- denn ob ich nun schlafe
	        
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