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statt, war das harmonische Lied; lange Wellen zog er daher in süßen, ent-
schlnmmernden Tönen, bis er sich — im Elysium wiederfand, am Fuße des
Apollo, in seiner wahren, himmlischen Schönheit. — Der Gesang, der ihm
im Leben versagt war, war sein Schwanengcsang geworden, der sanft seine
Glieder anflösen mußte; denn er hatte den Ton der Unsterblichen gehört und
das Antlitz eines Gottes gesehen. Dankbar schmiegte er sich an den Fuß
Apollo's und horchte seinen göttlichen Tönen, als eben auch sein treues Weib
ankam, das sich in süßem Gesänge ihm nach zu Tode geklagt. Die Göttin
der Unschuld nahm beide zu ihren Lieblingen an, das schöne Gespann ihres
Mnschelwagens, wenn sie im See der Jugend badet. — Gedulde dich, stilles,
hoffendes Herz! Was dir im Leben versagt ist, weil du es nicht ertragen
könntest, gibt dir der Augenblick deines Todes.
Herder.
16. Aer Unzufriedene.
In einem schattigen Thälchen, nicht weit von der Heerstraße, war eine.
Baumschule angelegt. Ein schöneres Plätzchen hätte auch Niemand dazu finden
können. Die jungen Pflänzlinge erfreuten sich der Morgensonne, während
ein naher, stark bewaldeter Berg Nachmittags erquickenden Schatten gab.
Von der Landstraße war das Thal gerade weit genug entfernt, um vor
lästigem Staube zu sichern, und seine Seitenwände schützten die jungen
Bäumchen vor scharfen Winden.
Es war ein fröhliches Leben in der Baumschule. Junge Pappeln, Kir¬
schen- und Apfelbäume, Kastanien-, Ahorn-, Pflaumen- und Nußbäume, alle
wuchsen in geregelten Reihen munter empor und sahen so frisch und kräftig
ans, daß jeder Wanderer überrascht stehen blieb und die liebliche Pflanzung
mit Freuden betrachtete.
Nur ein Kirschbänmchen war mit seiner Stellung nicht zufrieden. Ach,
seufzte es oft, wie eng und gedrückt stehe ich doch hier, nach keiner Seite hin
habe ich Aussicht in's Freie! Und lebt man einmal ein Bischen auf, macht
man sich nur ein klein wenig breit, so kommt flugs der Gärtner mit seinem
scharfen Messer und schneidet einem die besten Zweige vom Stamme herunter,
daß man laut aufschreien möchte. Und wenn er nicht an mir herumschneidet,
so hackt er mir doch an den Wurzeln, daß ich über und über erzittere, oder
er schnürt mich so fest an einen Pfahl, daß mir das Blut stocken möchte und
ich mich nach keiner Seite hin frei bewegen kann.
So seufzte und klagte das Bäumchen oft und wünschte nichts sehnlicher,
als endlich aus dem Thale erlöst zu sein und au die Heerstraße versetzt zu
werden, wo mehr Freiheit herrschte, wo die großen Bäume standen und ihm
öfters zuzuwinken schienen.
Dieser Wunsch sollte auch bald erfüllt werden, denn eines Tages kam
der Gärtner, säuberte den Boden um das Bäumchen, hob es mit einigen
kräftigen Spatenstichen aus der Erde und trug es vorsichtig hinauf an die
Heerstraße. Hier wartete seiner schon eine Vertiefung, in welche es alsbald
eingesetzt und mit Erde umschüttet wurde, die der Gärtner festtrat. Dann
schlug er eineu Pfahl ein, band es daran fest, gab ihm noch einmal zu trinken
und ging seines Weges. Das Alles kam so schnell und plötzlich, daß das
Bäumchen gar nicht recht wußte, wie ihm geschah und seinen Jngendgeführten
nicht einmal Lebewol sagen konnte.
Ob's unser Kirschbäumchen nun wirklich besser hatte? Ob es nun recht
zufrieden war? Anfangs und nachdem das bischen Heimweh vorüber, schien