Full text: Deutsches Lese- und Bildungsbuch für höhere katholische Schulen

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O sprecht! warum zogt ihr von dannen? 
Das Neckarthal hat Wein und Korn; 
Der Schwarzwald steht voll finst'rer Tannen, 
Im Spessart klingt des Aelplers Horn. 
Wie wird es in den fremden Wäldern 
Euch nach der Heimatberge Grün, 
Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern, 
Nach seinen Rebenhügeln zieh'n! 
Wie wird das Bild der alten Tage 
Durch eure Träume glänzend weh'n! 
Gleich einer stillen, frommen Sage 
Wird cs euch vor der Seele steh'n. 
Der Bootsmann winkt! — Zieht hin in Frieden! 
Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis! 
Sei Freude eurer Brust beschieden 
Und euren Feldern Reis und Mais! 
Freiligrath. 
84. An den Schlaf. 
Hoch vor allen 
Gaben der himmlischen 
Dei mir gepriesen, 
Du der Seele 
Labendes Wasser, 
Gliederlösender, 
Heiliger Schlaf! 
Dich fegn' ich Abends, 
Wenn ich gebcuat, 
Erquickung suchend, 
Hernieder steige 
Zu deiner Tiefe. 
Wie Meereswogen 
Umfängst du mich kühlend; 
Und wie das Meer 
In seinem Schoße 
Nichts Fremdes herbergt, 
Und faules Gewächs, 
Trümmer und Leichen 
Rastlos wieder 
An's Ufer flutet; 
Spülst du die Sorgen 
Alle des Tages, 
Die kranken Gedanken 
Zurück an's Gestad'. 
Dich rühm' ich Morgens, 
Wenn mir die Seele 
Vergnügt emportaucht 
Aus deinen Wellen, 
Frisch und strahlend 
Wiedergeboren, 
Der meerentstiegenen 
Göttin gleich. 
Ein heilig Band 
Bist du, o Schlummer, 
Würziger Kraft voll. 
Muth und Erneuung 
Athmet der Psyche, 
Wenn deine Woge 
Sanft die bewußtlos 
Schwimmende trägt 
Von Leben zu Leben, 
Von Strand zu Strand. 
So ist der Tod 
Auch ein Bad nur, 
Aber drüben 
Am anderen Ufer 
Liegt uns bereitet 
Ein neu Gewand! 
E. Gerbet. 
85. Okück 
ÄUer, ein Betrachtender, so wandelt, 
Die Straßen einer Stadt entlang, 
Dem mag es selten nur begegnen, 
Daß ihm verleidet wird sein Gang. 
Die Häuser steh'n in blanken Zeilen, 
Als wohnte nur die Lust darin, 
Und unverdross'ne Menschen treiben 
Sich zwischen ihnen munter hin. 
und Unglück. 
Man sieht hinein durch klare Fenster, 
Und sieht im Innern keine Noth; 
Man tritt hinein zu ost'nen Thoren, 
Und sieht im Hofe keinen Tod. 
Man hört nicht Seufzer, hört nicht Hader, 
Nicht Hilferuf, nicht Wehgeschrei, 
Es ist, als ginge man behaglich 
An Wohnungen des Glücks vorbei.
	        
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