Full text: Die deutsche Dichtung des 19. Jahrhunderts in ihren Hauptvertretern

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bespannt, auf dem Bock ein Kutscher mit glänzenden Knöpfen und einem Vuttenhut. 
Der Kaiser? Nein, der Lerr Wachtler vom Schlosse Lohenwang saß im Schlitten, 
über und über in Pelze gehüllt und eine Zigarre schmauchend. Ich blieb stehen, 
schaute dem blitzschnell vorüberrutschenden Zeug eine Weile nach und dachte: „Etwas 
krumm ist es doch eingerichtet auf dieser Welt. Da sitzt ein starker Mann drin und 
läßt sich hinziehen mit soviel überschüssiger Kraft, und ich vermag mein Bündel kaum 
zu schleppen." 
Mittlerweile war es Mittagszeit geworden. Durch den Nebel war die milch¬ 
weiße Scheibe der Sonne zu sehen; sie war nicht hoch an dem Limmel hinaufgestiegen, 
denn um vier Ahr wollte sie ja wieder unten sein, zur langen Christnacht. Ich fühlte 
in den Beinen manchmal so ein heißes Prickeln, das bis in die Brust heraufstieg; 
es zitterten mir die Glieder. Nicht weit von der Stelle, wo der Weg nach Alpe! 
abzweigt, stand ein Kreuz mit dem lebensgroßen Bilde des Leilands. Es stand, wie 
es heute noch steht, an seinem Fuß Johannes und Magdalena, das Ganze mit einem 
Bretterverschlag verwahrt, sodaß es wie eine Kapelle war. Vor dem Kreuze auf die 
Bank, die für knieende Beter bestimmt ist, setzte ich mich nieder, um Mittag zu 
halten. Eine Semmel, die gehörte mir; meine Neigung zu ihr war so groß, daß ich 
sie am liebsten in wenigen Bissen verschluckt hätte. Allein das schnelle Schlucken ist 
nicht gesund, das wußte ich von anderen Leuten, und das langsame Essen macht einen 
längeren Genuß, das wußte ich schon von mir selber. Also beschloß ich, die Semmel 
recht gemächlich und bedächtig zu genießen und dazwischen manchmal eine gedörrte 
Zwetschge zu naschen. 
Es war eine sehr köstliche Mahlzeit; wenn ich heute etwas recht Gutes haben 
will, das kostet außerordentliche Anstrengungen aller Art; ach, wenn man nie und 
nie einen Mangel zu leiden hat, wie wird man da arm! 
Lind wie war ich so reich damals, als ich arm war! 
Als ich nach der Mahlzeit mein Doppelbündel wieder auflud, war's ein Spaß 
mit ihm, flink ging es voran. Als ich später in die Bergwälder hinaufkam und der 
graue Nebel dicht in den schneebeschwerten Bäumen hing, dachte ich an den Grabler 
Lansel. Das war ein Kohlenführer, der täglich von Alpe! seine Fuhr ins Mürztal 
lieferte. Wenn er auch heute gefahren wäre! Lind wenn er jetzt heimwärts mit dem 
leeren Schlitten des Weges käme und mir das Bündel auflüde! And am Ende gar mich 
selber! Daß es so heiß sein kann im Winter! Mitten in Schnee und Eisschollen 
schwitzen! Doch morgen wird alle Mühsal vergessen sein. — Derlei Gedanken und 
Vorstellungen verkürzten mir unterwegs die Zeit. 
Auf einmal roch ich starken Tabakrauch. Knapp hinter mir ging — ganz leise 
auftretend — der grüne Kilian. Der Kilian war früher einige Zeit lange Forst¬ 
gehilfe in den gewerkschaftlichen Waldungen gewesen; jetzt war er's nicht mehr, wohnte 
mit seiner Familie in einer Lütte drüben in der Fischbacher Gegend; man wußte 
nicht recht, was er trieb. Nun ging er nach Lause. Er hatte einen Korb auf dem 
Rücken, an dem er nicht schwer zu tragen schien; sein Gewand war noch ein jäger- 
mäßiges, aber hübsch abgetragen, und sein schwarzer Vollbart ließ nicht viel sehen 
von seinem etwas fahlen Gesichte. Als ich ihn bemerkt hatte, nahm er die Pfeife 
aus dem Mund, lachte laut und sagte: „Wo schiebst denn hin, Bub?" 
„Leim zu," meine Antwort. 
„Was schleppest denn?" 
„Sachen für den Christtag." 
„Gute Sachen? Der Tausend sapperment! Wem gehörst denn zu?" 
„Dem Waldbauer." 
„Zum Waldbauer willst gar hinauf! Da mußt gut antauchen." 
„Tu's schon," sagte ich und tauchte an. 
Schmidt u. Ewert. 
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