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Lore und die Kinder sind fast außer sich vor Entzücken. Siehst du, das ist die große
Neuigkeit."
Ich suchte, so gut ich vermochte, an dem Entzücken des guten Freundes teil¬
zunehmen und gab das Versprechen ab, nach geschehener Einrichtung dies gepriesene
Idyll zu besichtigen. Eines Sonntags am Ende des April fuhr ich zu diesem Zwecke
nach Steglitz und ward mit großer Freude von der Familie Hühnchen begrüßt. Wie
ich mir schon gedacht hatte — es war ein kleines, erbärmliches Häuschen; aber was
die Leute draus gemacht hatten, das war wunderbar. Anten enthielt es außer einem
kleinen Vorraum eine winzige Küche und drei Zimmer, deren eines aber so eng wie
ein Vogelbauer war und lebhaft an Hühnchens Schlafzimmer in Hannover erinnerte,
woselbst er sich die Stiefel nicht anziehen konnte, ohne die Tür zum Nebenzimmer
zu öffnen. In dieses Stübchen führte mich Hühnchen zuerst und zwar mit besonderer
Wonne:
„Siehst du, lieber Freund," sagte er, „alle Früchte reifen allmählich an dem
Baum der Erfüllung und fallen einem lieblich in den Schoß. Mein langjähriger
Wunsch, seit ich verheiratet bin, ein Stübchen ganz für mich zu haben, ist nun auch
erfüllt."
Ich schaute in dem kleinen Raum umher. Vor dem Fenster stand ein Tisch,
mit grünem Stoff bis zum Fußboden behängen, und füllte die ganze Breite des
Zimmers aus. Zwei Stühle und ein Bücherbrett waren sämtliche übrigen Möbel —
mehr war auch nicht gut unterzubringen. An der Wand, dem Bücherbrett gegen¬
über, hingen „anmutig gruppiert", wie Hühnchen sich ausdrückte, die Photographie
einer Lokomotive, die Bilder seiner Eltern und vieler Freunde. Das technische Museum,
den Ahnensaal und den Freundschaftstempel nannte er das. Jetzt deutete er mit einer
listigen Verschlagenheit in Blick und Wesen auf den grünbehangenen Tisch, der mit
Schreibutensilien und alten Büchern bedeckt war, und sagte:
„Sieht dieses Möbel nicht merkwürdig opulent und fast prunkvoll aus —
nicht wahr? Eine gewisse erhabene Großartigkeit kommt darin zum Ausdruck?"
Ich bestätigte dies lächelnd.
„Blendwerk der Hölle!" sagte Hühnchen, hob die Decke empor und sah mich
triumphierend an. Es zeigte sich, daß dieser Tisch weiter nichts war als eine große
Kiste, mit der Öffnung nach vorn auf die Seite gelegt.
Wir besichtigten dann die anderen Räume der Wohnung, und ich fand alles
so behaglich, freundlich und sauber, wie es mit den einfachen Möbeln nur erzielt
werden konnte. Dann ging's in den Garten. Es war unglaublich, was auf diesem
kleinen Raum alles gesäet und gepflanzt war. Dort befand sich ein Kartoffelfeld in
der Größe von vier Quadratmetern und außerdem alle nur denkbaren Küchengewächse
auf Beeten von den winzigsten Dimensionen.
„Ich habe vor allen Dingen eine große Reichhaltigkeit der Bebauung angestrebt,"
sagte Hühnchen. „In dieser Hinsicht soll der Garten ein Glanzpunkt dieser Besitzung
werden."
Er zog ein Papier aus der Tasche und breitete es vor mir aus: „Der
Bebauungsplan!" sagte er wichtig. „Wird alljährlich angefertigt, um einen rationellen
Fruchtwechsel beobachten zu können."
In verschiedenen zarten Farben waren dort alle Beete verzeichnet und mit
zierlicher Rundschrift bei jedem die Art der Bepflanzung angemerkt. Bei dein Nu߬
baum, der durch einen kleinen grünen Kreis angedeutet war, sah ich ein schwarzes
Viereck mit der Überschrift: „Hänschen".
„Was ist das?" fragte ich.
„Dort liegt Hänschen begraben," antwortete Hühnchen, „unser guter Kanarien¬
vogel. Er muß sich beim Amzug erkältet haben, denn gleich nachher blies er sich auf und
kränkelte. Lore will gehört haben, daß er gehustet har, allein das ist wohl ein Irrtum.