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gar für die Artillerie bestimmt, wo das gemeine Knallen den Gipfelpunkt erreichte!
Publius zog sich jetzt gänzlich aus der menschlichen Gesellschaft zurück; er glaubte in
den Mienen aller seiner Kollegen die tiefste Verachtung zu lesen für den Vater
eines Söldlings, eines Landsknechts, dessen Geschäft der Massenmord aus tückischer
Ferne war.
So verbitterte er sich sein Leben. Aber die Liebe zu dem Kinde blieb sich
immer gleich. Seine Stimme hatte einen weichen, rührenden Klang, wenn er von
seinem dummen Sohne sprach.
Sein liebstes Studium ward jetzt die Strategie und Taktik der Alten; im
Geschützwesen insbesondere erwarb er die eingehendsten Kenntnisse, und wenn Titus
auf Arlaub kam, schwirrte seine Rede von den Geschossen der Ballisten und Katapulten.
Denn all dies Studium hatte nur den Zweck, sich mit seinem Sohne wissenschaftlich
unterhalten zu können.
Während aller dieser Zeiten lebte Frau Dorothea einsam und öde neben ihrem
Gatten hin. Er achtete sie geringer denn je; war sie es doch ohne allen Zweifel,
von der Titus seinen Böotismus geerbt hatte, und das ihr von Kerzen zu verzeihen,
ging über seine Kräfte. In der ersten Zeit des Exils in der Idiotenanstalt hätte er
ihr am liebsten einen Scheidebrief gegeben und sich nach einem andren Weibe
umgetan; doch stand dem sein moralisches Gefühl im Wege, und so hing er ihr weiter
in müder Treue an.
Die arme Frau trug ihr kaltes Los mit schweigendem Kummer und hegte auch
so ihren Mann in sorgsamer Liebe und selbst mit einem herzlichen Mitleid: war sein
Äerz doch schlimmer noch als das ihre verödet, da er ihren Trost nicht teilte noch
kannte, den Mutterstolz und die selige Freude über den trefflichen Jüngling, der ihr
Kind war.
Denn keiner konnte es ihr leugnen, Titus war das Musterbild eines liebens¬
würdigen jungen Offiziers: schmuck, kräftig, gewandt, gewissenhaft und anstellig im
Dienst, schneidig im Auftreten; ein Liebling von Vorgesetzten und Antergebenen, besaß
er eine sorglose Heiterkeit des Gemütes, die weder Aberhebung noch Geckentum oder
Blasiertheit aufkommen ließ und ihm alle Herzen, nicht bloß der Frauen, gewann.
Seine Zukunft war nach menschlichem Ermessen eine glücklich gesicherte, sein
Charakter wie seine Kenntnisse verbürgten eine gute Laufbahn.
Da kam das Jahr 1870.
Eines schönen Iulimorgens bemerkte Dr. Martin Löwe, obgleich in Gedanken
noch ganz verlieft in eine glänzende Monographie über die Arsachen des Krieges zwischen
den Segestanern und Syrakusiern, die er beim Morgenkaffee gelesen, auf dem Schul¬
wege — es war für die nicht verreisten Schüler ein Ferienunterricht angesetzt worden
— eine eigentümliche Bewegung in den Straßen. Wirklich, die Menschen hatten
heut etwas Besonderes an sich, das er selbst nicht übersehen konnte; alle Gesichter,
alle ohne Ausnahme, trugen den unverkennbaren Ausdruck einer stillen, starken
Feierlichkeit, einer tiefernsten Festesfreude; die Leute sahen aus wie Gläubige auf dem
Kirchgänge an einem klaren Ostermorgen, und doch blitzte noch etwas anderes, etwas
feurig Weltliches aus ihren Augen, etwas, das Dr. Löwe noch nie gesehen
hatte, eine freudige Lebenskraft, ein gefaßter Stolz, ein fast zur Hoheit verklärter
Zorn, eine gemeinsame Sehnsucht; es war wie eine stumme Verbrüderung von
Freunden, deren jeder einzelne im Begriff stünde, eine große und gute Tat zu
begehen.
Verwundert und in leise gehobener Stimmung, gerade als ob ihn die Sache
etwas anginge, betrat Publius das Gymnasialgebäude und eilte nach seiner Gewohnheit
ohne Aufenthalt dem Klassenzimmer der Sekunda zu.
Da traf ein schauerliches Kriegsgeheul aus dem Innern sein entsetztes Ohr,
„nicht anders," dachte er, „als es Tacitus bei den alten Germanen schildert: Sie suchen