Full text: Die deutsche Dichtung des 19. Jahrhunderts in ihren Hauptvertretern

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gar für die Artillerie bestimmt, wo das gemeine Knallen den Gipfelpunkt erreichte! 
Publius zog sich jetzt gänzlich aus der menschlichen Gesellschaft zurück; er glaubte in 
den Mienen aller seiner Kollegen die tiefste Verachtung zu lesen für den Vater 
eines Söldlings, eines Landsknechts, dessen Geschäft der Massenmord aus tückischer 
Ferne war. 
So verbitterte er sich sein Leben. Aber die Liebe zu dem Kinde blieb sich 
immer gleich. Seine Stimme hatte einen weichen, rührenden Klang, wenn er von 
seinem dummen Sohne sprach. 
Sein liebstes Studium ward jetzt die Strategie und Taktik der Alten; im 
Geschützwesen insbesondere erwarb er die eingehendsten Kenntnisse, und wenn Titus 
auf Arlaub kam, schwirrte seine Rede von den Geschossen der Ballisten und Katapulten. 
Denn all dies Studium hatte nur den Zweck, sich mit seinem Sohne wissenschaftlich 
unterhalten zu können. 
Während aller dieser Zeiten lebte Frau Dorothea einsam und öde neben ihrem 
Gatten hin. Er achtete sie geringer denn je; war sie es doch ohne allen Zweifel, 
von der Titus seinen Böotismus geerbt hatte, und das ihr von Kerzen zu verzeihen, 
ging über seine Kräfte. In der ersten Zeit des Exils in der Idiotenanstalt hätte er 
ihr am liebsten einen Scheidebrief gegeben und sich nach einem andren Weibe 
umgetan; doch stand dem sein moralisches Gefühl im Wege, und so hing er ihr weiter 
in müder Treue an. 
Die arme Frau trug ihr kaltes Los mit schweigendem Kummer und hegte auch 
so ihren Mann in sorgsamer Liebe und selbst mit einem herzlichen Mitleid: war sein 
Äerz doch schlimmer noch als das ihre verödet, da er ihren Trost nicht teilte noch 
kannte, den Mutterstolz und die selige Freude über den trefflichen Jüngling, der ihr 
Kind war. 
Denn keiner konnte es ihr leugnen, Titus war das Musterbild eines liebens¬ 
würdigen jungen Offiziers: schmuck, kräftig, gewandt, gewissenhaft und anstellig im 
Dienst, schneidig im Auftreten; ein Liebling von Vorgesetzten und Antergebenen, besaß 
er eine sorglose Heiterkeit des Gemütes, die weder Aberhebung noch Geckentum oder 
Blasiertheit aufkommen ließ und ihm alle Herzen, nicht bloß der Frauen, gewann. 
Seine Zukunft war nach menschlichem Ermessen eine glücklich gesicherte, sein 
Charakter wie seine Kenntnisse verbürgten eine gute Laufbahn. 
Da kam das Jahr 1870. 
Eines schönen Iulimorgens bemerkte Dr. Martin Löwe, obgleich in Gedanken 
noch ganz verlieft in eine glänzende Monographie über die Arsachen des Krieges zwischen 
den Segestanern und Syrakusiern, die er beim Morgenkaffee gelesen, auf dem Schul¬ 
wege — es war für die nicht verreisten Schüler ein Ferienunterricht angesetzt worden 
— eine eigentümliche Bewegung in den Straßen. Wirklich, die Menschen hatten 
heut etwas Besonderes an sich, das er selbst nicht übersehen konnte; alle Gesichter, 
alle ohne Ausnahme, trugen den unverkennbaren Ausdruck einer stillen, starken 
Feierlichkeit, einer tiefernsten Festesfreude; die Leute sahen aus wie Gläubige auf dem 
Kirchgänge an einem klaren Ostermorgen, und doch blitzte noch etwas anderes, etwas 
feurig Weltliches aus ihren Augen, etwas, das Dr. Löwe noch nie gesehen 
hatte, eine freudige Lebenskraft, ein gefaßter Stolz, ein fast zur Hoheit verklärter 
Zorn, eine gemeinsame Sehnsucht; es war wie eine stumme Verbrüderung von 
Freunden, deren jeder einzelne im Begriff stünde, eine große und gute Tat zu 
begehen. 
Verwundert und in leise gehobener Stimmung, gerade als ob ihn die Sache 
etwas anginge, betrat Publius das Gymnasialgebäude und eilte nach seiner Gewohnheit 
ohne Aufenthalt dem Klassenzimmer der Sekunda zu. 
Da traf ein schauerliches Kriegsgeheul aus dem Innern sein entsetztes Ohr, 
„nicht anders," dachte er, „als es Tacitus bei den alten Germanen schildert: Sie suchen
	        
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