392 Das 19. Jahrh. Mörike: 266. In der Frühe. 267. Im Frühling. 268. Neue Liebe.
3. Einsmals sie ruhten am Eichenbaum,
Da lachte Schön-Rohtraut:
Was siehst mich an so wunniglich?
Wenn du das Herz hast, küsse mich!
Ach! erschrak der Knabe!
Doch denket er: mir ist's vergunnt,
Und küsset Schön-Rohtraut auf den Mund.
— Schweig stille, mein Herze!
266. In
Kein Schlaf noch kühlt das Auge mir,
Dort gehet schon der Tag herfür
An meinem Kammerfenster.
Es wühlet mein verstörter Sinn
Noch zwischen Zweifeln her und hin
267. Im
Hier lieg' ich ans dem Frühlings¬
hügel;
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach sag' mir, alleinzige Liebe,
Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe! 5
Doch du und die Lüfte, ihr habet kein
Haus.
Der Sonnenblume gleich steht mein
Gemüte offen,
Sehnend
Sich dehnend
In Lieben und Hoffen. 10
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd' ich gestillt?
4. Darauf sie ritten schweigend heim,
Rohtrant, Schön-Rohtraut.
Es jauchzt der Knab' in seinem Sinn:
Und würd'st du heute Kaiserin,
Mich sollt's nicht kränken:
Ihr tausend Blätter im Walde wißt,
Ich hab' Schön-Rohtrauts Mund geküßt!
— Schweig stille, mein Herze!
der Frühe.
Und schaffet Nachtgespenster.
— Ängste, quäle
Dich nicht länger, meine Seele!
Freu' dich, schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden.
Frühling.
Die Wolke seh' ich wandeln und den
Es dringt der Sonne goldner Kuß Muß,
Mir tief bis ins Geblüt hinein; 15
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein;
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene
lauschet.
Ich deuke dies und denke das,
Ich sehne mich und weiß nicht recht,
nach was: 20
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
Mein Herz, o sage,
Was webst du für Erinnerung
In golden grünerZweigeDämmerung?
— Alte, unnennbare Tage. 25
268. Neue Liebe.
Kann auch ein Mensch des andern auf der Erde
Ganz, wie er möchte, sein?
— In langer Nacht bedacht' ich mir's und mußte sagen: nein!
So kann ich niemands heißen auf der Erde,
Und niemand wäre mein? 5
— Ans Finsternissen hell in mir aufzuckt ein Freudenschein:
Sollt' ich mit Gott nicht können sein,
So wie ich möchte, Mein und Dein?
Was hielte mich, daß ich's nicht heute werde?
Ein süßer Schrecken geht durch mein Gebein!
Mich wundert, daß es mir ein Wunder wollte sein,
Gott selbst zu eigen haben auf der Erde!
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