Full text: Musterstücke deutscher Prosa

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bei Rom eine Mittelschiffbreite von c. 80 Fuß und eine Höhe von 
110 Fuß hat, der Kölner Dom dagegen bei nur 45 Fuß Breite sich 
140 Fuß hoch erhebt. Den Triumph aber feierte die Gotik, daß sie 
das alte starre Gerüst der Basilika zu flüssigem Leben, zu einem 
in sich geschlossenen folgerichtig durchgebildeten Organismus umge¬ 
wandelt hatte. 
Diese Grundlage der gotischen Bauweise empfängt nun in der 
Durchbildung des einzelnen einen völlig neuen Ausdruck. Die letzten 
Erinnerungen an die antiken Formen werden beseitigt, und der 
germanische Geist prägt in genialer Weise jedem Gliede, jeder kleinsten 
Einzelheit seine selbständigen Bildungsgesetze ein. Die Pfeiler, welche 
die Schiffe trennen, werden gewöhnlich mit rundem Kern gebildet, an 
welchen sich als Träger der Rippen und Gurte eine Anzahl von 
Dreiviertelsäulen als sogenannte Dienste lehnen. In der Regel ent¬ 
sprechen den Quer- und Längengurten vier kräftigere („alte") Dienste 
und den Kreuzrippen ebensoviele schwächere („junge") Dienste. Bis¬ 
weilen wird zwischen den einzelnen Diensten der Pfeilerkern durch 
eine Hohlkehle ausgetieft, wodurch eine schärfere Schatten- und Licht¬ 
wirkung erreicht wird. Unter einander und mit dem Pfeilerkern sind 
die Dienste durch eine Polygone Grundlage verbunden und im 
Grundriß schon als ein zusammengehöriges Glied bezeichnet. Daraus 
lösen sich für die einzelnen Dienste ebenso viele besondere Grund¬ 
lagen, gleichfalls vieleckig gestaltet und in zwei Absätzen durch feine 
bandartige Glieder, in denen oft die Form der attischen Basis nach¬ 
wirkt, unter einander und mit dem Pfeilerkern verbunden. Ähnlich 
sind die feinen, scharf gegliederten Kapitälgesimse am ganzen Pfeiler 
durchgeführt, aber nur die Kapitäle der Dienste der Regel nach mit 
Verzierungen bedeckt. Letztere sind weit entfernt von der plastischen 
Fülle und Vielseitigkeit romanischer Einzelheiten; in der Regel ziehen 
sich nur zwei leichte Blattkränze um die kelchartige Grundform, so 
daß Zwischen ihnen der Kern des Kapitäls deutlich sichtbar wird und 
sie demselben nur leicht aufgeheftet erscheinen. Auch der stilistische 
Charakter dieser Verzierungsart ist ein durchaus neuer, denn weit ent¬ 
fernt von dem stets wiederkehrenden Laubwerk des Romanismus greift 
der germanische Natursinn hier in die Fülle seiner heimischen Flora 
und bringt in anmutigem Wechsel bald das Blatt der Eiche, bald das 
der Distel, des Epheus, der Rebe, der Rose, der Stechpalme und 
andrer heimischer Pflanzen in wirkungsvollem Naturalismus zur 
Geltung. Fast gänzlich ausgeschlossen sind Tier- und Menschengestalten, 
so wie die reichen phantastischen Gebilde der romanischen Zeit. Der 
bewegteren Gliederung des Pfeilers entspricht nun auch die Ausbildung 
der Hallenbögen, so wie der Gurte und Rippen. 
Die starre rechtwinklige Grundform der früheren Zeit wird zu¬ 
erst durch Abfassung, Auskehlung und Beimischung von Rundstäben 
gemildert, bald aber die dem neuen Stil entsprechende Form heraus-
	        
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