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Die Stadt ist mit Kirchen und Klöstern ganz überfüllt. Vom
frühen Morgen bis in die späte Nacht tönen die Glocken. Alles trägt
hier den Charakter einer streng katholischen Stadt. Die Hüte des
Volkes sind in unaufhörlicher Bewegung. Gleichviel ob ein Bischof,
ein Weltgeistlicher, ein Mönch oder ein Jesuit erscheint, oder ob ein
Heiligenbild von Alabaster oder Wachs oder aus Leinwand gemalt
vorübertragen wird, immer wird der Hut andächtig abgenommen,
ebenso wenn die Glocke zum Gebet läutet.
Die Kathedrale von Pnebla, deren heilige Mauern die Bomben
und Kartätschen der katholischen Franzosen auszuhalten hatten, ist eine
der schönsten Kirchen im spanischen Amerika; sie hat einen soliden
und stattlichen Bau mit auffallender Fa^ade, welche auf künstlich er-
höhtem Grund die ganze Seite des Hauptplatzes einnimmt. Das
Innere ist prachtvoll. Die Ornamente sind aus den schönsten
Marmorsorten der Umgegend gefertigt. Früher besaß die Kirche
noch andere bedeutende Schätze. Unter andern war ein silberner
Leuchter von solcher Schwere vorhanden, daß vier Männer ihn kaum
zu tragen vermochten. Aber sein Gewicht hat die republikanischen
Kirchenräuber nicht abgehalten, ihn fortzutragen. Der mit Gold und
Silber reichlich geschmückte Altar, die Edelsteine, selbst die kostbaren
Gemälde wurden von den revolutionären Gewalthabern geplündert.
Jetzt sind die soliden Kirchenschätze der spanischen Zeit durch Sammet
und schlecht vergoldete Verzierungen ersetzt, die nur oberflächliche Augen
blenden. Nur die wertlosesten Bilder sind zurückgeblieben. Die fran-
zösifchen Kirchenstürmer der Gegenwart fanden dort alles Schmelzbare
bereits geleert, und keine ergiebige Ernte erwartete die flinken Schnapp-
Hähne der Zuaven und „Zephyre" wie bei der Plünderung des chine-
fischen Kaiserpalastes.
Vom Turm der Kathedrale hat man einen wundervollen Überblick
der Stadt mit all ihren langen und breiten Gassen, ihren großen
Plätzen, den zahllosen Kuppeln und Türmen. Auch die große und
schöne Hochebene der Landschaft mit ihren hübschen Haciendas, ihren
Kirchen und Kapellen auf den „Cerros", ihren Waldgruppen und
Getreidefeldern ist von der Höhe der Kathedrale herab auf weithin
zu überschauen. Überaus malerisch und großartig ist der westliche
Hintergrund der Landschaft mit dem Riesenvulkan Popokatepetl, dessen
gewaltiges Schneehaupt unter einem tiefblauen Himmelsdom glänzt,
und weiter nördlich die herrliche Gruppe des Malinche mit seinen
Tannenwäldern und sinstern Schluchten. Auch der östliche Hintergrund
der Hochebene gegen Orizaba ist wunderschön, besonders bei Sonnen-
Untergang. Das Entzücken des reisenden Naturfreundes über diese
paradiesische Landschaft wird freilich etwas gedämpft durch den Gedanken,
daß man selbst in gewöhnlichen Zeiten ein paar hundert Schritte von
den Wällen der Stadt seines Eigentums nicht sicher ist. Wer in der
Umgebung von Puebla ohne Gefolge oder ohne besonderen Schutz reiste.