tum zu gewinnen. Du hast reiche Vettern jenseit des Gebirges; ich
will hin und ihnen unsere Not klagen. Vielleicht, daß sich einer erbarmet
und aus gutem Herzen von seinem Überfluß uns auf Zinsen leiht, soviel
wir bedürfen."
Das niedergedrückte Weib willigte mit schwacher Hoffnung auf glück¬
lichen Erfolg in diesen Vorschlag, weil sie keinen besseren wußte. Der
Mann aber gürtete früh seine Lenden, und als er Weib und Kind ver¬
ließ, sprach er ihnen Trost ein: „Weinet nicht! Mein Herz sagt es mir,
ich werde einen Wohltäter finden, der uns aus der Not helfen wird."
Hierauf steckte er eine harte Brotrinde zur Zehrung in die Tasche und
ging davon. Müde und matt von der Hitze des Tages und dem weiten
Wege gelangte er zur Abendzeit in dem Dorfe an, wo die reichen
Vettern wohnten; aber keiner wollte ihn kennen; keiner wollte ihn be¬
herbergen. Mit heißen Tränen klagte er ihnen sein Elend; aber die
hartherzigen Filze achteten nicht darauf und kränkten den armen Mann
mit Vorwürfen und beleidigenden Sprichwörtern. Einer sprach: „Junges
Blut, spar dein Gut", der andere: „Hoffart kommt vor dem Fall",
der dritte: „Wie du's treibst, so geht's", der vierte: „Jeder ist seines
Glückes Schmied". So höhnten und spotteten sie seiner, nannten ihn einen
Prasser und Faulenzer, und endlich stießen sie ihn gar zur Tür hinaus.
Einer solchen Aufnahme hatte sich der arme Vetter von der reichen Sipp¬
schaft seines Weibes nicht versehen; stumm und traurig schlich er von
dannen, und weil er nichts hatte, um das Schlafgeld in der Herberge zu
bezahlen, mußte er auf einem Heuschober im Felde übernachten. Hier
erwartete er schlaflos den zögernden Tag, um sich auf den Heimweg zu
begeben.
Da er nun wieder ins Gebirge kam, übermannte ihn die Bekümmer¬
nis so sehr, daß er der Verzweiflung nahe war. „Zwei Tage Arbeits¬
lohn verloren," dachte er bei sich selber, „matt und entkräftet vor Gram
und Hunger, ohne Trost, ohne Hoffnung! Wenn du nun heimkehrst und
die sechs armen Würmer dir entgegenschmachten, ihre Hände aufheben,
von dir Labsal zu begehren, und du für einen Bissen Brot ihnen einen
Stein bieten mußt — Vaterherz, Vaterherz, wie kannst du's tragen!
Brich entzwei, armes Herz, ehe du diesen Jammer fühlst!" Hierauf warf
er sich unter einen Schlehenbusch, seinen schwermütigen Gedanken weiter
nachzuhängen, und sann hin und her, wie er sich aus seiner großen Ver¬
legenheit und drückenden Not befreien könne. Unter tausend nichtigen
Anschlägen und Einfällen verfiel er endlich auf den Gedanken, sich an den
Geist des Gebirges mit seinem Anliegen zu wenden. Er hatte viel aben¬
teuerliche Geschichten von ihm gehört, wie er zuweilen die Reisenden
gedrillt und gehudelt, ihnen manche Bosheit angetan, doch auch mitunter
Gutes erwiesen habe. Es war ihm nicht unbekannt, daß er sich bei seinem
Spottnamen nicht ungestraft rufen lasse; doch wußte er ihm aus keine