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hinein. Man hat London ein großes Dorf genannt; dies ist insofern
zutreffend, als man nach Möglichkeit bemüht ist, den ländlichen
Charakter des Ganzen zu erhalten. Der Engländer ist ein leiden¬
schaftlicher Verehrer des Landlebens. Dies zeigt sich unter anderem
in dem lebhaften Interesse, welches er jeder Veränderung in den
Parks und Straßenanlagen entgegenbringt.
Man wird sagen dürfen, daß das eigentliche englische Gasthaus
teuer und schlecht ist. Das Essen ist sehr mäßig, die Bedienung
mangelhaft. Es fehlt meistens an der Zuvorkommenheit, welche
wir in Deutschland gewohnt sind. Die Gastlichkeit wird geboten,
fast als ob sie eine Vergünstigung wäre, und doch sind die Rech¬
nungen, von unserem Standpunkte aus, geradezu unverschämt zu
nennen. Das public house ersetzt in den vereinigten drei König¬
reichen und über die ganze angelsächsische Welt (Nordamerika
eingeschlossen) unser Wirtshaus. Der wesentliche Unterschied ist,
daß man im „Pub." nicht an Tischen sitzt und sein Getränk gemächlich
zu sich nimmt, sondern daß man es stehend vor einer „bar" genießt.
Gegen die Trunksucht versucht das Gesetz von allen Seiten
vorzugehen. Für das englische öffentliche Leben ist wohl die ein¬
schneidendste Maßregel die Bestimmung, daß alle Restaurationen
an den gewöhnlichen Wochentagen 121/2 Uhr nachts, am Sonnabend
um 12 und am Sonntag um 11 Uhr geschlossen werden müssen.
London an der Themse liegt um 1 Uhr nachts schweigsam und
menschenleer da. Seine Bewohner schlafen. Auch die Eisenbahn¬
stationen und alle -anderen öffentlichen Verkehrsanstalten sind ge¬
schlossen; schwer ist es, in den meisten Stadtteilen, nach 1 Uhr
und an den Sonntagen nach 11 Uhr auch nur eine Droschke zu
finden. Dies ist hier und da unbequem; aber, daß die Fahlwangigkeit
hier fast ganz fehlt, daß die Gesichtsfarbe der Großstädter sich
nicht wesentlich von der der Landleute unterscheidet, das dankt
England sicherlich zum wesentlichen dieser klugen Selbst¬
beschränkung in der freien Benutzung seiner Nachtstunden.
Will man den Hafen Londons kennen lernen, so löse man sich
bei London Bridge eine Fahrkarte auf einem Vergnügungsdampfer
und mache die Fahrt nach Greenwich und darüber hinaus bis zu
der Mündung der Themse. Da erhält man ein lebhaftes Bild von
dem riesenhaften Schiffsverkehr dieses Stromes. Oder noch bequemer,
man setze sich an einen der Fenstertische des Ship in Greenwich