Full text: (Sechstes und siebentes Schuljahr) (Teil 3 für Kl. 4 u. 3)

Beim Haferbinden auf der Klosterbreite war’s einmal — es 
ängstigt mich noch manchmal im Traume — als ich nicht ein 
Krümchen in der Tasche hatte; ich war aber satt an der Angst 
vor der Vesperpause. Und als sie endlich kam und die Leute nach 
ihren Vesperstücken liefen und sich kauend auf den Rasenweg setzten, 
hielt ich mich erst abseits und tat, als suchte ich ein vierblätteriges 
Kleeblatt. Dann ging ich zu den Feldrosenbüschen, an denen ich 
immer eine so heimliche Freude hatte. Und sie lachten mich an 
und labten mich mit ihrem köstlichen Dufte, daß ich für eine Weile 
alle Not und Pein vergaß. Bertrams Wieschen, das auch mit ein¬ 
legen half, kam mir nach und aß ein großes, schönes Butterbrot 
vor meinen Augen; es schien gar nicht zu merken, daß ich nichts 
zu essen hatte. Ich war herzlich froh darüber, habe mich nachher 
aber doch im stillen gefragt, ob sie wirklich nichts merkte; ob sie’s 
nicht merken wollte, um mich nicht in Verlegenheit zu bringen, 
oder ob sie’s nicht merken wollte, um nicht mit mir teilen zu 
müssen. Dreißig Jahre später, als sie in bitterkalter Winternacht 
vor ihrem Manne, einem schrecklichen Saufteufel, zu mir flüchtete 
und ich sie wie eine Schwester aufnahm und erquickte, mußte ich 
unwillkürlich noch an jene Vesperstunde denken. Ach, es kommt 
alles wieder herum! Wir sollten daran denken in der Jugend, und 
wir sollten daran denken, wenn’s uns gut geht. Es kommt alles 
wieder herum. 
Dankbare Erinnerungen bewahre ich aus jener schlimmen Zeit 
noch an drei alte Frauen, und immer sind es die Oktoberstürme, 
welche diese Erinnerungen, wenn sie einmal längere Zeit erloschen 
schienen, wieder rütteln, wecken und anfachen. 
Es war schon über die Mitte des Oktobers hinaus, als ich noch 
mit einem großen Tagelöhnertrupp auf der großen Kartoffelbreite 
vor dem kleinen Hagen hockte. Rodemaschinen gab’s damals noch 
nicht; die jüngeren Frauen sowie die Burschen und Männer rodeten 
mit der dreizackigen Grepe, und die alten Frauen mit den Kindern 
lasen die Kartoffeln auf, indem sie auf den Knien hinter den Rodern 
herrutschen, mochte der Boden trocken oder naß sein. Wenn dann 
die Stürme, die sich vor dem Hagenwalde stießen und gleichsam 
stauten, den Regen und Reif zwischen uns peitschten und ich in 
meinem dürftigen Leinenrocke schwarz und blau fror und keinen 
Finger mehr krumm machen konnte, dann haben mich die drei
	        
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