Object: (Sechstes und siebentes Schuljahr) (Teil 3 für Kl. 4 u. 3)

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„Weißt du, was ich tun möchte?" sagte er dann. „Was wir früher 
taten, wenn unsere Freude anderweitig nicht zu bändigen war: einen 
Indianertanz möchte ich tanzen!" Und er schwenkte seine Beine und 
machte einige Sprünge, deren er sich in seinen jüngsten Jahren nicht 
hätte zu schämen brauchen. Dann umarmte er mich noch einmal und 
wurde plötzlich ernsthaft. 
„Meine Frau wird sich freuen," sagte er, „sie kennt dich und liebt 
dich durch meine Erzählungen; aber eins mutz ich dir sagen, ich glaube, 
du weißt es nicht: meine Frau ist nämlich —" hierbei klopfte er sich mit 
der rechten Hand auf die linke Schulter — „sie ist nämlich nicht ganz 
gerade. Ich sehe das nicht mehr und habe es eigentlich nie gesehen; denn 
ich habe mich in ihre Augen verliebt — und in ihr Herz — und in 
ihre Güte — und in ihre Sanftmut — kurz, ich liebe sie, weil sie ein 
Engel ist. Und warum ich dir das jetzt sage? Sieh mal, wenn du es 
nicht weißt, so möchtest du befremdet sein, wenn du meine Frau siehst, 
und sie möchte das in deinen Augen lesen. Nicht wahr, du wirst nichts 
sehen?" 
Ich drückte ihm gerührt die Hand, und er lief an eine andere Tür, 
öffnete sie und rief: „Lore, hier ist lieber Besuch, mein alter Freund aus 
Hannover, du kennst ihn schon!" 
Sie trat ein und hinter ihr wieder die beiden freundlichen Linder 
mit den rosigen Apfelgesichtern. Meines Freundes Warnung war nicht 
umsonst gewesen, und ich weiß nicht, ob ich in der Überraschung des 
Augenblicks mein Befremden hätte verbergen können. Allein in den 
dunkeln Augen dieser Frau schimmerte es von Liebe und Sanftmut, und 
schweres, gewelltes Haar von seltener Fülle umgab das blasse Antlitz, das 
nicht schön, aber von dem Widerschein innerer Güte anmutig durch¬ 
leuchtet war. 
Nach der ersten Begrüßung meinte Hühnchen: „Heute abend bleibst 
du hier, das ist selbstverständlich. Lore, du wirst für eine fürstliche 
Bewirtung sorgen müssen. Tische aus, was das Haus vermag! Das 
Haus vermag freilich gar nichts!" sagte er dann zu mir gewendet. 
„Berliner Wirtschaft kennt keine Vorräte. Aber es ist doch eine wunder¬ 
bare Einrichtung. Die Frau nimmt sich ein Tuch um und ein Körbchen in 
die Hand und läuft quer über die Straße. Dort wohnt ein Mann hinter 
Spiegelscheiben, ein rosiger, behäbiger Mann, der in einer weißen Schürze 
hinter einem Marmortisch steht. Und neben ihm befindet sich eine rosige,
	        
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