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Ein Bild, ein wirkliches Bild! Dargestellt in fein empfundenen
und auserlesenen Farben, in schönem Ebenmaße der Flächen und
klassischer Linienführung sowohl der Konturen der Wolkenberge als
auch der Zeichnung von Strand, Meer und Schissen.
II. Sturm.
Von der See her rollt eine Woge nach der anderen mit gesträubtem
Haar heran, erhebt sich zornig und bricht, Schaum und Wasser weit
das Ufer hinauf werfend, in sich zusammen. Die Luft ist von unab¬
lässigem, donnerndem Brausen erfüllt, und der Wind pfeift seine
wildesten Melodien. Zu sehen ist auf der See weiter nichts als Wogen¬
reihen, die aus der dicken Luft auftauchen und am Ufer branden. Oben
im Bootsschuppen steht das Rettungsboot auf seinem Wagen zur Aus¬
fahrt bereit. Der Führer ist ins Dorf gegangen, die Pferde zu holen.
Oben auf dem Damm stehen Fischerfrauen und sehen, in ihre Mäntel
gewickelt und sich gegen den Sturm stemmend, stumm und besorgt ins
Weite. Daß draußen vor der steinigen Platte ein Schiff sitzt, ist
gewiß, aber es ist ungewiß, was für ein Schiff es sei.
Da erklingt vom Damme herab Geschrei. Das Wetter ist un¬
erwartet sichtig geworden. Die Wolken sind auseinandergerissen, und
die Sonne schaut mit schnellem Blick über das Wasser, so scharf und
neugierig, als liege ihr daran, vor ihrem Untergange noch zu er¬
fahren, welches Unheil man da unten hinter ihrem Rücken angerichtet
habe. Dunst und Dampf treten auseinander, und da liegt auf der
steinigen Platte inmitten von weißem Schaum ein Schiff mit flattern¬
dem Segel. Oder ist es eine Notflagge? In dem wechselnden Licht
von Sonnenschein und Schatten sieht es aus, als wenn das Schiff
sich bewege und um Hilfe rufe. Die Fischer halten die Hände über
die Augen und schauen unter ihren struppigen Augenbrauen hinaus
oder putzen die Gläser ihrer Fernrohre. Aber ehe sie noch darüber
einig, ob das Schiff ein Fischerboot oder ein Memeler Lastschiff, ver¬
schwindet das Bild, und Wind und Meer singen, singen ohne Illu¬
stration ihre alte Melodie weiter . . . Jetzt steigt die Flagge der
Station, das rote Kreuz auf weißem Grunde, am Signalmast empor ...
Im Nu ändert sich das Bild. Zahlreiche Fäuste fassen zu, ziehen
den Bootswagen aus dem Schuppen und befördern ihn mit einer
Schnelligkeit und Leichtigkeit hinab an den Strand, als wenn es
ein Jagdwagen wäre. Und die Zuschauer folgen so weit, als sie vor
dem Wasser einigermaßen sicher sind.
Wie hoch die Meereswellen sind und welche Kraft in ihnen ver¬
borgen ist, das kann man nur wahrnehmen, wenn man sich auf ihnen
befindet, oder auch, wenn man unten am Strande dicht vor der Brau-