— 196 —
Der Jäger stellt den Dohnenstrich/ in künstlicher: Sprenkeln legt
er das Rot der Eibischbeere aus, mancher Drossel zum frühen
Tode. Reineke kennt das. Ehe noch der Jäger wacht, ist er ans
dem Anstande. Er wartet unverdrossen, bis die Stimmen der
müden und hungrig herabfallenden Vögel an sein Ohr schlagen.
Er steht, stutzt, stiert. Hier und dort schwirrt ein lüsternes Paar
un: die Schlingen/ ein Ziemer, eine schwarzglänzende Amsel stürzt
hinein/ sie schreit aus, schlägt mit den Flügeln, ::nd im Augenblicke,
stinken Sprunges, ist Reineke zur Seite. Er schwingt sich hinan,
denn der Sprenkel steht hoch — aber eines Haares Breite fehlt,
daß er sie erreiche. Der Vogel, der sich mit dem Fuße gefangen,
stnttert erschreckt in die Höhe, den Klauen des Mörders zu ent¬
gehen. Der Fuchs knirscht, springt wieder und wieder, immer
hitziger, immer begieriger/ die Nüstern ziehen sich krampfhaft zu¬
sammen, ein wollustvolles Grausen glüht in seinem Auge, der
Schweif peitscht die Luft, aber es ist vergebens, bis er, da end¬
lich dem gefesselten Tiere die Kraft versagt, sich zu einem gewaltigen
Satze zusammenrafft und sein Opfer mit einem triumphierenden
Schrei ergreift.
4. I m W i n t e r.
Aber die goldenen Tage sind bald vorüber. Die Felder stehen
kahl, der Wald fast entlaubt, auch die letzten Wandervögel sind
davongezogen, rauhe Stürme brausen über die H)de. Der Fuchs
liegt in seiner Zelle, denn es giebt wenig zu jagen, und die ge¬
sammelten Vorräte schützen ihn zunächst noch vor Mangel. Es
ist eine triste, langweilige Zeit / er entwirft Pläne für den Winter¬
feldzug, stellt sich Probleme, macht Sprungübungen und horcht
wachsam den Schüssen der Jagd, die dumpf-warnend in sein Lager
hinunterdröhnen. Indessen drängt der Winter immer ungestümer
heran. Bald liegt alles erstarrt unter der weißen Decke, Seeen
und Bäche gefrieren tief hinab, die Bäume krachen, von Frost
gespalten, das Wild ächzt hungrig in den dichtesten Gründen, und
Rabe, Krähe und Sperling haben längst die Straßen der Städte
und Dörfer gesucht. Reineke darf das nicht. „Wenn ich ein
Vöglein wär'!" seufzt er und streicht lungernd hinter einem Bauern-
gehöst umher. Aber es läßt sich keine Feder spüren. Die Not
treibt ihn dem Walde zu, er ergeht sich in den düstersten Gedanken.
Mit einemmale hebt er die Nase. Seine Augen blitzen. Ein lieb¬
licher Duft weht ihm entgegen. Ha, was ist das? — Siehe da —
mitten in der Wildnis ein süßgebratenes Stück von Kater Hinzes
Lende! Wie appetitlich! Ohne Zögern ist es verschlungen. Reineke