82. Das Blumenbeet.
Johann Wolfgang von Goethe.
Das Beet, schon lockert
Sich's in die Höh',
Da wanken Glöckchen,
So weih wie Schnee;
Safran entfaltet
Gewaltige Glut,
Smaragden keimt es
Und keimt wie Blut.
Primeln stolzieren
So naseweis,
Schalkhafte Veilchen,
Versteckt mit Fleiß;
Was auch noch alles
Da regt und webt,
Genug, der Frühling,
Er wirkt und lebt.
83. Warum die Birke ein weißes Kleid anhat.
Theodor Urausbauer.
Der Frühling wollte auf die Berge steigen.
Auf Wiese und Au haben seinem Rufe schon Tausende Folge
geleistet, und in weiß und rot und blau flattern ihre Fähnlein im Winde.
Und nun schicken sich auch die Edelleute des Waldes, die Baum¬
riesen, an, ihren König mit allen Ehren zu empfangen. Allen voran
sind die Buchen, des Frühlings Leibgarde von altersher.
Die Birke aber, die zarte Waldjungfrau, hat die Ankunft des
Frühlings verschlafen. Und als er nun da ist, will sie sich schnell zum
Empfange rüsten.
Sie zieht ein herrliches weißes Ballkleid an und steckt sich duftende
Maien ins krause Haar, gerade wie ein Vräutlein tut, ob sie ihm
nicht vor allen andern gefallen möge. Und sie putzt sich und putzt
sich, und sie nistelt und nestelt, und — als nun der Frühling einzieht,
ist sie immer noch nicht fertig. Zwar weint sie bittere Tränen, aber der
Frühling zieht vorüber, und traurig senkt sie das Köpfchen.
Ihr weißes Ballkleid hat sie nimmer ausgezogen, um in jedem
Jahre zum Empfange des Lenzes, ihres Lieblings, gerüstet zu sein.
Aber bis jetzt hat sie sich noch immer verschlafen. Sie wird's auch
fürderhin wohl tun.
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