SS-17
18. Die Wichtelmänner.
Brüder Grimm.
Es war ein Schuster ohne seine Schuld so arm geworden, daß
ihm endlich nichts mehr übrig blieb als Leder zu einem einzigen
Paar Schuhe. Nun schnitt er am Abend die Schuhe zu, die wollte
er den nächsten Morgen in Arbeit nehmen; und weil er ein gutes
Gewissen hatte, legte er sich ruhig zu Bett, befahl sich dem lieben
Gott und schlief ein. Morgens, als er sein Gebet verrichtet hatte
und sich zur Arbeit niedersetzen lvollte, so standen die beiden Schuhe
ganz fertig auf seinem Tisch. Er verwunderte sich und wußte nicht,
was er dazu sagen sollte. Er nahm die Schuhe in die Hand, um sie
näher zu betrachten: sie waren sv sauber gearbeitet, daß kein Stich
daran falsch war, gerade als wenn es ein Meisterstück sein sollte.
Bald darauf trat auch schon ein Käufer ein, und weil ihm die Schuhe
so gut gefielen, so bezahlte er mehr als gewöhnlich dafür, ulid der
Schuster sonnte von dem Geld Leder zu zwei Paar Schuhen er¬
handeln. Er schnitt sie abends zu und lvollte den nächsten Morgen
mit frischem Mut an die Arbeit gehen; aber er brauchte es liicht,
denn als er aufstand, waren sie schon fertig, ilnd es blieben auch
liicht die Käufer aus, die ihm so viel Geld gaben, daß er Leder
zu vier Paar Schuhen einkaufen konnte. Er fand früh morgens auch
die vier Paar fertig; und so ging's immer fort: was er abends zu¬
schnitt, das war am Morgen verarbeitet, also daß er bald wieder
sein ehrliches Auskommen hatte und endlich ein wohlhabender Mann
ward. Nun geschah es eines Abends, nicht lange vor Weihnachten,
als der Mann wieder zugeschnitten hatte, daß er vor Schlafengehen
za seiner Frau sprach: „Wie wür's, wenn wir diese Nacht ausbliebell,
um zu sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leistet?" Die Frau
war's zufrieden und steckte ein Licht an; darauf verbargen sie sich
in den Stubenecken hinter den Kleidern, die da aufgehängt loaren,
und gaben acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine,
lliedliche Männlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen
alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an, mit ihren Fingerlein
J> behend und schnell zu stechen, zu nähen, zu klopfen, daß der
Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie
Breidenstein, Mittelschullesebnch I. 2